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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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feststellt, so wäre eine solche Unterscheidung beim König von Sanchor nicht am Platz gewesen. Er war ja durch die Pflicht zur Repräsentation und königlicher Amtsführung niemals bedrückt, sondern stets erhoben, und zwar in einem Maß, daß ich mich fragte, ob er ein Zurücksinken in die Privatheit des Prinzentums, die er schließlich lange gekannt hatte, auch nur für denkmöglich halten konnte. Jetzt, bei dem Teetopf der tüchtigen Zwergin, beschienen von den gelben Flammen aus dem schwarzen Feuerloch, war er ein Eroberer, der sich an die Spitze der Avantgarde gesetzt hat, um mit wenigen Getreuen den Feind auszukundschaften, und der von diesem Abenteuer heil zurückgekehrt ist. Mehr denn je wurde sichtbar, daß die Überanstrengung ihn berauschte. Und nach weiteren Stunden im Dunkeln hielt der Jeep dann vor dem Portal des Monsun-Palastes, der aus toten Fenstern sah, als sei er seit langem verlassen. Der König drückte auf die Hupe. Von ihrem Gequäke erwachten die eingenickten Vasallen auf der Rückbank. Unbarmherzig ließ er es quäken, bis die erste Lampe im Innern des Palastes aufschien und die bunten Scheiben erleuchtete. Das Tor wurde aufgestoßen, Virah und drei andere junge Diener kamen barfüßig und mit zerrauftem Haar, aber vollständig bekleidet aus dem Haus gelaufen. Sie hatten in der Halle auf dem Fußboden in Schlafsäcken geschlafen, um bereit zu sein, wenn der König zurückkehrte.

10.
Unzucht mit Tieren
    Das obere Stockwerk des Monsun-Palastes war unbewohnt, soweit ich das sehen konnte, wobei einige Zimmer gewiß bei großen Familienversammlungen als Gästezimmer genutzt wurden. Dort standen rot- und weißgestreifte altertümliche Matratzen an der Wand, und ein durchgesessener Korbsessel mochte einfach hier oben abgestellt und vergessen worden sein. Die Räume waren von hellem, aber gebrochenem Licht durchflutet. Ich hatte meinen Arbeitstisch in der Veranda aufgeschlagen, die mit vielen Fenstern und Terrassentüren um die beiden Kirchenschiffe mit den hohen Sälen des Hauses herumführte. Diese oberen Säle dienten jetzt als Speicher. Sie waren mit schweren Messing-Vorhangschlössern gesichert, aber ihre bunten Glastüren erlaubten, sie ringsum einzusehen. Ich liebe Speicher und Speicherstilleben, den Ramsch und die verschlossenen Kisten, die vielleicht keinen Ramsch enthalten. Ausrangiertes, aber nicht weggeworfenes Zeug ist redselig. Hier oben stand, halb von einem Tuch bedeckt, das Trainingsfahrrad, das Prinz Gopalakrishnan Singh aus Ahmedabad hatte kommen lassen, nachdem er wieder einmal reuevoll seinen vermutlich stattlichen, aber erschlafften und zu Dicklichkeit neigenden Körper im Spiegel betrachtet hatte, und es schien mir jetzt ganz natürlich, daß dies Trainingsrad alsbald und noch beinahe unbenutzt aus seinen Augen geschafft worden war. Daneben erkannte ich ein großes Puppenhaus, ein düster-gefängnishaft wirkendes Gebäude, vergleichbar kleinen Polizeistationen auf dem Land mit ihren Beton-Sonnendächlein über jedem der verhängten und vergitterten Fenster. Das Haus war von überlebt kolonialer Modernität, vielleicht gar ein Modellhaus für das neuzeitliche Viertel der Hauptstadt Sanchor? Ob es auch mit Deckenventilatoren und brummendem Eisschrank ausgestattet war? Auch ein paar Ölbilder in bronzierten Gipsrahmen lehnten mit dem Gesicht zur Wand, die Rückseite einer altangestaubten Leinwand zeigend – alles, vom kümmerlichsten Montmartre-Matterhorn bis zu einer ingresken Haremsszene konnte darauf sein – nun, nicht alles, wie ich inzwischen wohl sagen durfte, das Wahrscheinlichste waren dünn nach Photographie gemalte und von der Photographie das unwirklich Papierene auf die Leinwand übertragende Prinzenporträts des mir inzwischen sattsam bekannten russischen Malers. Diese Prinzen hatte eine entscheidende, verstörende Lektion vom Westen empfangen, als sie prunkvoll aufgeschirrt, mit bizarren Turbanen, großen Juwelen und im Glanz ihrer Säbel und Dolche in einem Atelier empfangen worden waren, in dem nur ein langes Stielauge aus Glas sie beobachtete. Ihnen, denen niemand gebieten durfte, befahl ein geschäftiger, keineswegs besonders ehrfürchtiger Mann im schmuddeligen weißen Leinenanzug und mit Hornbrille für ganze zehn Sekunden vollständige Bewegungslosigkeit, nicht einmal die Fliege vor der Nase durfte weggewedelt werden, und dann, nach bengalischem Zischen und Blitzen, ohne nachfolgenden Donnerknall, war die Sitzung schon zu Ende. Was dachte das gläserne

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