Das Beben
ein zweites Mal. Sie kam aus derselben Richtung wie eben, ohne daß ich sie hatte umkehren sehen. Sie beachtete mich kaum. Nur der große Abstand, den sie zwischen sich und mich legte, zeigte mir, daß sie mich bemerkte. Sie war unterwegs auf weiter Reise. Wenn sie so die Korridore und Veranden des Hauses durchmaß, legte sie am Tag leicht mehrere Kilometer zurück. Es mußte in meinem Rücken eine Verbindung zu der großen Veranda geben, in der ich saß.
Da war die Katze wieder. Sie näherte sich, wieder von vorn, duckte sich in meiner Nähe, vermied, mich anzusehen, und schoß an mir vorbei.
»Sie umkreist mich«, dachte ich, »die ganze Woche hat sie sich nicht sehen lassen.« Sie gab mir wahrlich nicht das Gefühl, daß sie meine Gegenwart schätze, aber es half ihr nicht, sie mußte an mir vorbei, immer aufs neue, jetzt gerade zum viertenmal. Ich war durch ihr geräuschloses Treiben derart abgelenkt, daß ich aufstand.
Zürnen durfte ich der Katze wahrhaftig nicht, denn taktvoller konnte sie ihren Verkehr nicht abwickeln. Aber hinnehmen wollte ich ihr nichtachtendes Vorbeischnüren auch nicht mehr. Wenn sie das nächstemal kam, würde ich ihr den Weg versperren, arglos und nicht in Angreiferpose – »damit sie sich nicht bei der Hausfrau beschweren kann«, dachte ich. Es war mir plötzlich, als ob man sich auf die Stummheit der Tiere nicht allzu sicher verlassen solle.
Doch – auch das war zu erwarten – jetzt kam die Katze nicht. Sie hatte offenbar geahnt, daß mit ihr ein Spiel getrieben werden solle, daß ihr aufgenötigt werden könne, sich irgendwie mit mir abzugeben, und sei es, indem sie vor mir davonliefe. Wenn sie Verbindung mit mir aufnehmen wollte, würde sie das durchaus einseitig entscheiden.
Sie kam nicht. Jetzt war kein Zweifel mehr erlaubt, sie hatte mich auf der anderen Seite des Palastes, durch Mauern und Tore von mir getrennt, durchschaut. Ich tat ein paar Schritte. Was führte mich zu der Glastür des Speichersaales? Wollte ich mich beim Anblick der verhüllten Kisten und Kasten, der angeschlagenen Überseekoffer und des ernsten Puppenhauses beruhigen?
Inmitten des auf allen Seiten mit schweren Schlössern verbarrikadierten Saales – es gab immerhin neun Flügeltüren, und ich hatte sie auf meinen nachdenklichen Wanderungen sämtlich überprüft, indem ich sanft an ihnen rüttelte – saß die Katze und sah mich an. Sie hatte gewußt, daß ich durch die Glastür schauen würde, und mich vielleicht bei meinem meditativen Starren in den Saal auch schon beobachtet. Was sie in der Veranda nie tat, wagte sie jetzt, wo sie Holz und Glasscheiben zwischen uns wußte. Sie erhob sich langsam und kam, behutsam Schritt vor Schritt setzend, näher. Zum erstenmal erlebte ich sie langsam. Sie war mager, aber ihr Bauch hing ein wenig herab, als ob sie schon geboren habe. Mit ihren braungrauen Streifen war sie zu einem Leben im Unterholz ausgerüstet, wo man sie im Dämmer des Gestrüpps nur erkannte, wenn sie sich bewegte. Stillsitzen konnte sie nämlich auch. Sie hatte sich niedergelassen und war nun so unbeweglich wie eine ägyptische Katzenstatue aus Obsidian.
Nur ihre graubeigen Augen strahlten. Ja, jetzt sah sie mich an, ungehemmt, gespannt, nachdenklich. Es war keine Gegenseitigkeit in diesem Ansehen. Sie stiftete keine Verbindung mit ihren Augen. Sie sah mich so dreist, so offen, so musternd an, wie man eine Hure in einem Schaufenster abschätzt.
Ich hielt still. Meine Stirn lehnte an dem kühlen Glas. Ich bot mich dem Studium der Katze geradezu an. Und ich erwiderte ihren Blick. Genauso ausdrucks- und leidenschaftslos wie sie sah auch ich geradeaus. Ich hätte meine Augen jetzt kurz schließen müssen, sie verlangten danach, einen Lidschlag lang von feuchter Haut bedeckt zu werden. Ich entschloß mich, auf diesen Lidschlag zu verzichten. Ich war unversehens in Wettkampfstimmung geraten – wer würde eher den Kopf abwenden oder die Augen schließen – die Katze oder ich?
Ich entdeckte etwas Überraschendes. Wenn ich den Kopf leicht bewegte, ohne meine Augen aus ihren Augen zu lassen, vollzog sie die Bewegung mit. Ich wandte den Kopf etwas nach rechts, dann etwas nach links – die Katze folgte. Und je öfter ich diese leichten Wendungen vollzog, desto deutlicher wurde mir, daß die Katze nicht freiwillig meinem langsamen Kopfschütteln folgte. Sie tat es, weil sie es mußte. Ich hatte sie unterworfen.
Sie erhob sich, mich unablässig im Blick haltend, und kam langsam näher. An der
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