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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Stielauge, als es die goldfunkelnden Prinzen sah? War es beeindruckter, als wenn an ihrer Stelle ein kranker Ziegenbock gelegen hätte?
    Viele Kisten waren mit weißen Tüchern bedeckt, die vor einem Staub schützten, den es auf dieser Höhe kaum gab. Zwischen den Reihen der weißen Kuben war genug Platz für Straßen. Man konnte sich in diesem Speichersaal bequem bewegen. Das Licht fiel aus bald zehn Metern Höhe auf diese Ansammlung des ungebrauchten Aufgehobenen. Wenn ich müde wurde und mich über meinen Zahlen langweilte, stand ich auf und wandelte die breite kahle Veranda auf und ab, von den bunten Glasscheiben der Fenster wechselnd in rotes, blaues oder gelbes Licht getaucht, und schließlich fand ich mich immer wieder an einer der Glastüren zu dem Speichersaal, der da vor sich hin schlief, aber mir war, als gebe es dort etwas zu entdecken, wie auf einem Suchbild, wenn man nur lang genug hinsehe.
    Aus dem Tal zu Füßen des Palastes drang immerfort ein gedämpftes Volksmurmeln zu mir herauf, ohne daß man viele Menschen gesehen hätte; wenn man auf das Gewirr der schlampig weißgetünchten Beton- und Backsteinwürfel hinabsah, war es, als hielten sich im Schatten der engen Gassen Hunderte auf, die dort gespannt und erregt, aber ohne zu schreien einem Kampf zusahen. Ein Volksbrodeln war das, aber durch dicke Kissen erstickt. Es war unmöglich, die Vielen da unten zu vergessen. Kinder ließen auf einem sandigen Platz in der Tiefe Drachen aus Buntpapier steigen, die sich manchmal in den kahlen Ästen vor meinen Fenstern verfingen, und schufen damit eine zusätzliche Verbindung zwischen den Bewohnern des Palastes und der Stadt. Hier oben empfing den aufsteigenden Lärm die Stille. Wie ein versteinerter Schwamm ließ der Palast die Geräuschwolke der vielen Stimmen in sich eindringen.
    Dann drang ein Scharren an mich, das aus dem Haus kam. Als ich aufblickte, sah ich in weiter Ferne, am Ende des breiten halbdunklen Korridors zwischen den Sälen eine Frau in türkisblauem Sari, die dort hinten mit einem Reisigbesen ohne Stiel den blanken fleckigen Estrich kehrte. Sie ging gebeugt wie Ruth, die Ährensammlerin, das Fegen ohne Besenstiel gab ihrer Arbeit etwas demonstrativ Knechtisches, obwohl ihr dort hinten niemand zuschaute. Ihr Fegen glich in seiner mühevollen, rhythmischen Langsamkeit anderen zeitlosen bäuerlichen Tätigkeiten, dem gemächlichen Hacken eines großen Feldes, dem Sieben großer Mengen von Reis, sie nahm eher die Körperhaltung der Arbeit ein, als daß sie tatsächlich arbeitete, der staubige Hauch, den sie in ihren rosa Kunststoffeimer füllte, war kaum zu messen. Sie kam auch nicht näher und blieb dort hinten als Erscheinung, zog nur den Schleier tiefer über ihr Gesicht, als habe sie mich doch bemerkt, und fegte sich ohne Eile dann aus meinem Bildausschnitt wieder hinaus.
    Als ich mich an meinen Tisch zu meinen Listen zurückbegab, wischte etwas Graues an mir vorbei. Das war die ausgewachsene, aber zarte Katze des Hauses, die ich bis dahin nur in den unteren Zimmern gesehen hatte. »Billy«, heiße diese Katze, sagte mir ihre Herrin, die Hausfrau, aber das sei nur ihr englischer Name. Sie habe natürlich noch einen richtigen, der aber sei zu kompliziert für mich. Und außerdem sei sie sehr wild. Sie lasse sich ohnehin nicht von Fremden berühren. Dies sei eine Katze, die arbeite. Sie fange Mäuse. Ihr sei es geglückt, was vorher nie gelang: das Haus von den Mäusen zu befreien. Ein Raubtier, eine Jägerin, die ihre Blutgier zu ihrer Pflicht hatte erheben dürfen.
    Ich setzte mich und begann mein Exposé für die Dänen zu entwerfen. Ich wußte, daß ich mit meinem Plan die Leute hier verriet. Was ich meinen dänischen Auftraggebern vorschlagen wollte, das mobile Hotel, das wandernde Luxuslager, war gerade nicht, was man sich in Sanchor gewünscht hatte. Ich kenne diese Situation. In abgelegenen Gegenden erhoffen sich die Bewohner von einem luxuriösen Hotel unsinnig viel. Dabei können sie sich meist glücklich schätzen, wenn einige ihrer Söhne und Töchter in Garten und Küche des Hotels arbeiten dürfen. Es wird mit solchen Hotels nicht so viel verdient, wie der Aufwand vermuten läßt. Ein Hotel ist keine Ölquelle, und selbst für die Ölquelle kommt es heute mehr denn je darauf an, in welchem Land sie liegt, wenn sie ihren Besitzer wirklich reich machen soll. Während ich in diese von ökonomischer Weisheit erfüllten Überlegungen versunken war, näherte sich mir die getigerte Katze

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