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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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allem wohl aus dem Eindruck des Wechsels bestand, allerdings vergessen sein.
    »Ich bin zufrieden, daß Sie nun einen Eindruck davon haben, wie wir von unserem Volk aufgenommen werden«, begann der König, der erheblich sicherer fuhr als sein Fahrer. Der kleine Wilde war augenblicklich hinten an der Schulter des Dünnen eingeschlafen. »Was sagen Sie dazu?«
    »It was a great impression to see Your Highness acting«, antwortete ich aufrichtig und zugleich beflissen und leider mit einem fatalen Fehler, den der König zum Glück sofort erkannte – »Sie meinten ›in action‹?« Und selbstverständlich war mir jede Neigung, den König nach diesem Tag mit einem Schauspieler zu vergleichen, denkbar fern. Viele Schauspieler hatte es gegeben – der Minister war darunter, auch ich als verkleideter Höfling – aber wir hatten nur den Rahmen gebildet, der den König kontrastreich umgab.
    »Sie sehen, wie sie uns lieben«, fuhr er fort, indem er meine Antwort vorwegnahm. »Sie haben all das gesehen, die Girlanden, die Nüsse, die Pauken – so werden wir empfangen, das ist normal für uns ...«
    Ich bemerkte, daß er prüfend und schnell zu mir hinübersah, von einem plötzlichen Mißtrauen erfüllt, ich könne die Ereignisse des Tages anders als er aufgenommen und bewertet haben. Ich schloß daraus keineswegs, daß er meiner Zustimmung bedürfe. Er war einen weiteren Tag in seinem Leben König gewesen. Die unbezweifelbare innere Realität des Königseins hatte sich mit der äußeren Realität, die allerdings ihrer Natur nach niemals so unbezweifelbar wie die innere sein konnte, einen weiteren Lebenstag lang in Übereinstimmung befunden. Vielleicht wollte er feststellen, wie weit die Strahlung dieser Realität über Sanchor und seine Menschen hinausreichte, wie man die Anziehungskraft eines Magneten mißt, die sich in einem gewissen Abstand verliert.
    Meine Bestätigung fiel womöglich etwas zu wortreich und heftig aus. Es wurde wohl am besten überhaupt nicht über solche Dinge gesprochen, aber das war der Fehler des Königs selbst gewesen, dessen er womöglich jetzt inne wurde, denn er nahm meine Antwort nur zerstreut auf und richtete danach das Wort sofort über die Schulter hinweg an den Jung-Rajputen, ein Scherz wurde gemacht, beide lachten herzlich, und das war es, was mir den Jung-Rajputen so ausnehmend unsympathisch machte: Ich verdächtigte ihn, von Anfang an den komischen Aspekt bei meiner Turbankrönung erkannt und während der Fahrt weidlich ausgeschlachtet zu haben.
    »Wie war es noch gleich«, fuhr der König daraufhin, ernst werdend, fort: »Julius Cäsar war der erste König Europas, nicht wahr?«
    »Nicht ganz«, widersprach ich behutsam. Es habe in Rom schon vor ihm Könige gegeben, deren letzter aber gestürzt worden sei. Darauf seien etwa vierhundert Jahre Republik gefolgt. Seine Hoheit wisse, es sei leicht, einen König zu stürzen, aber schwer, die Monarchie wiederherzustellen.
    »Keineswegs«, sagte der König, »man braucht nur einen König. Wenn ein König da ist, ist es leicht. In Sanchor wäre es die Sache von einem Tag, von einer Stunde, einem Augenblick.«
    Das sei die glückliche Situation Sanchors. Rom aber habe sich in der Lage befunden, daß ein wirklicher geborener König nach so vielen republikanischen Jahren eben nicht zur Hand gewesen sei.
    »Ich denke, das war Cäsar.«
    »Nicht so ohne weiteres«, sagte ich höflich einschränkend. Nachdem Cäsar die Alleinherrschaft nach Rom gebracht habe, hätten noch Jahrhunderte verstreichen müssen, bis eine veritable Monarchie aus dem neuen Herrscheramt geworden sei, ein Kaiser- und Königtum, das sich mit dem von Sanchor vergleichen lasse. Cäsars Selbstherrschaft sei eigentlich ein demokratisches Phänomen gewesen.
    Der König geriet in solches Staunen, daß er zu schalten vergaß. In unserer strahlend gelben Lichtwolke machte der Wagen einen Sprung nach vorn.
    »Sir, ich bitte Sie um eine Erklärung«, sagte er mit Unglauben und unterdrückter Empörung in der Stimme, »lösen Sie bitte diesen Widerspruch auf. Sie sagten, Cäsar habe die Monarchie wiedererrichtet, und behaupten zugleich, das sei ein demokratisches Phänomen gewesen? Wurde er denn nicht schließlich von den Demokraten umgebracht?«
    Demokraten würden häufig von Demokraten umgebracht, entgegnete ich eifrig, gelegentlich sogar Monarchen von Monarchisten. In Cäsars Fall seien es jedoch nicht Demokraten gewesen, die den Mordanschlag verübten, sondern – »Wer,

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