Das Beben
der Residenzstädte der Könige von Sanchor begraben, und es war vielleicht nur der Pietät derer, die sie zerstört hatten, zu danken, daß sie den Tempel gleichsam natürlicher Verwesung preisgegeben hatten. Eine tausendjährige Stadt kann nach weiteren tausend Jahren verschwunden sein, als habe es sie nie gegeben. Der König aber durchschritt sie soeben. Er bewegte sich auf ihren Straßen und Plätzen. Daß er sich an der romantischen Naturschönheit weidete, wie sie die Maler des neunzehnten Jahrhunderts gereizt hätte – die im roten Abendschein aufglühenden Tempelmassen als inselhaftes Menschenwerk in einem sandigen Hügelmeer, über dem sich ein tiefblauer Abendhimmel wölbt –, hielt ich und halte ich heute erst recht für vollkommen ausgeschlossen. Hier fand jede Einfühlung ein Ende. Sonnenuntergang und Ruinen und Einsamkeit, das war eine Sprache, die mir wohlvertraut war, die aber für den König so unverständlich blieb wie jedes deutsche Wort, das ich an ihn gerichtet hätte. Wer ihn jetzt über die Hügel schreiten sah, der mußte freilich glauben, daß er dabei Genuß empfand, daß er eine stille, ihn selbst aufs höchste erbauende und erhebende Feier abhielt. Auch ein Pfau, der gemessen, ohne immerfort nach etwas zu picken, daherschreitet, ohne ein Ziel anzusteuern, der nur innehält, um den schillernden Hals zu recken und nur um der schönen Bewegung willen, der die Flügel ausbreitet, um sie gemächlich dann wieder zusammenzufalten, den seine überlange Schleppe nicht beschwert, der sie aber auch nicht ausbreitet und kein Rad schlägt, weil er in seinen Gedanken auf niemanden gerichtet ist als auf sich selbst, bietet ein solches Bild des Genusses. Der Schleier, von dem hohen Turban über den ganzen Rücken des Königs hinabfallend, begleitete mit seinem leisen Wehen jeden seiner Schritte. Wir sahen ihn gegen die inzwischen glutrot gewordene Sonne als Figur des alten Schattentheaters, und dazu paßten auch die langen Arme und Beine, ein storchhaftes Staksen mit leichter Ruckhaftigkeit, die aber die Eleganz der Fortbewegung überhaupt nicht beeinträchtigte. Ein niedriggewachsenes Wesen, ein sandfarbener Wüstenfuchs mit buschigem, beinahe weißem Schwanz huschte vorbei. Die Landschaft belebte sich. Es wurde nun auch kalt. Langsam kehrte der König zurück.
Die Rückfahrt nach Sanchor würde, das wurde sehr schnell klar, noch viel weniger angenehm werden, als die Reise hierher. Die Nacht war frostig, und die Staubwolke, in der wir fuhren, als reisten wir in den mächtigen Händen eines Dschins, wurde durch das Scheinwerferlicht, das sich in ihr verfing und riesig von ihr auf uns zurückgeworfen wurde, noch undurchdringlicher. Wir fuhren nun langsamer und unruhiger, immerfort warf der kleine Fahrer das Steuer herum, als gelte es einen Slalomparcours bewältigen. An einem schmutzigen Zelt am Straßenrand, in dem Lastwagenfahrer Tee tranken, hielten wir an. Nach kurzem Wortwechsel des Aide-de-camp mit dem Besitzer des Zeltes, der wie ein Schmied hinter der pechschwarzen Esse seines Feuers hervorschaute, begaben wir uns in den hinteren finsteren Winkel des Zeltes. Der Einfall der Menschen scheuchte dort große Ratten auf, die sich ins noch Dunklere zurückzogen. Hier wurden die Kleider gewechselt. Der Königs-Kapitänsanzug und der hohe Fürstenturban kamen wieder in den Koffer, auch der Jung-Rajpute zog einen dicken Norwegerpullover über seinen seidenen Hochzeitsstaat, und die beiden Soldaten entledigten sich ihrer Uniformen. Innerhalb weniger Minuten stand der König im Pullover umgeben von Pullover-Männern, die Standarte war gleichfalls vom Kühler abgeschraubt, die Königspracht verstaut. Wir tranken Tee aus verschmierten Gläsern wie alle anderen erschöpften Kunden dieser Bude. Erschöpft war nur einer nicht, der König.
Den Schlangenlinien seines faunischen Fahrers hatte er auf dem Vordersitz wohl mit Besorgnis zugesehen. Es waren da offensichtlich nicht nur Hindernisse umfahren worden. Der Junge war todmüde, obwohl er sich nicht beschwerte. Der König befahl eine neue Sitzordnung. Das Steuer übernahm nun er, das rote Kissen kam auf den Fahrersitz, und ich mußte mich nach vorn neben ihn setzen. Jetzt war die Gelegenheit da, die er mir verheißen hatte. So lange war das Gespräch, um dessentwillen ich mich in Sanchor aufhielt, herausgeschoben worden, aber seine Stunde war nun gekommen. Tatsächlich war es ein klein wenig bequemer hier vorn. Binnen kurzem würde dieser Vorteil, der vor
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