Das Beben
Tür stand ein Pappkoffer mit Aluminiumecken. Sie vollbrachte das Kunststück, auf ihn zu springen, ohne ihre Augen aus den meinen zu lassen. Ich ging langsam in die Knie. Jetzt waren wir, nur durch die Glasscheiben getrennt, beinahe Nase an Nase. Das Augen-aufgerissen-Halten gelang mir ohne Nachdenken, nicht um alles in der Welt hätte ich mir ein Blinzeln erlaubt. Ich beherrschte die Katze, wie sie noch niemals von einem Lebewesen beherrscht worden war. Dieses Tier in seiner trotzigen Magerkeit war vollkommen von mir unterjocht, und zwar nicht, weil ich es an einem Strick hinter mir herzerrte, sondern weil es sich in einem bestimmten Augenblick auf dies Spiel mit mir eingelassen hatte, weil es, was es jetzt schon heftig bereuen mochte, sich ganz kurz aus der Hand gegeben hatte, weil es, vielleicht um eine winzige verhängnisvolle Sekunde lang von mir hatte unterworfen werden wollen.
Meine Eitelkeit stieg ins Maßlose, als ich erkannte, daß die Katze zitterte. Sie starrte mich an und haßte sich und mich dafür. Ihr Körper drängte mit aller Kraft danach, aus dem Bann auszubrechen. Ihr Kopf blieb starr auf mich fixiert, aber ihr Hinterteil mit steil aufgerichtetem Schwanz versuchte nach links und rechts auszuweichen. Es war, als stecke ihr Kopf in einer Falle und sie versuche, ihn mit Anspannung ihres ganzen Körpers herauszuziehen. Ein Kampf tobte in ihr. Jetzt sprang sie vom Koffer, aber rückwärts, die Augen tief in die meinen getaucht, auch dies ein akrobatisches Kunststück. Zwischen unseren Augen schien sich etwas materialisiert zu haben wie unsichtbare Nervenstränge. In gerader Linie konnte sie sich vorwärts und rückwärts bewegen, bebend und mit großer Anstrengung, aber ein Ausbrechen nach den Seiten war ihr verwehrt. Es kam der Augenblick, daß ich mich meiner Gewalt über sie schämte.
Sie hob die zitternde Vorderpfote und dieser Anblick rührte mich und war ein Vorwurf. Niemand besaß das Recht, über ein anderes Lebewesen solche Herrschaft auszuüben, die schlimmer war als eine Jagd auf die Katze, um sie totzuschlagen. Was sie quälte, war, daß sie ihrer Unterwerfung auf eine für sie fatale Weise zustimmte oder doch zugestimmt hatte. Ich fühlte jetzt deutlich ihre Schmach, und diese Schmach schwappte zu mir herüber und bekleckerte mich gleichfalls. Es war wie in einer Umarmung, in der einem unversehens blendend klar wird, daß man sich niemals auf sie hätte einlassen dürfen. Ich schlug die Augen nieder, aber nicht aus endlich siegreichem Reflex, ich hätte die Augen, so kam mir vor, jetzt noch stundenlang offen halten können. Als ich wieder in den Saal sah, war die Katze verschwunden. Ich habe sie später nur noch von weitem gesehen, wenn sie mit abgewandtem Kopf vorüberschlich.
Mit dem Arbeiten war es vorbei. Ich saß da und dachte an die Katze. Sie wurde größer vor meinem inneren Blick, wie ein Gepard oder ein junger Panther. Ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut, als hätte ich etwas sehr Böses getan. Wie immer fuhr ich zusammen, als der kleine barfüßige Diener, der sich stets geräuschlos näherte, neben mir stand. Er trug ein mobiles Telephon und reichte es mir mit weit ausgestrecktem Arm, als wolle er mir nicht zu nahe treten. Ich hörte Manons Stimme, mit ihrem sanften, zärtlichen Maulen.
»Ich finde furchtbar, was du machst«, sagte sie, »und glaub bloß nicht, daß ich hinter dir her telephoniere.«
Drittes Buch
Die Lösung
1.
Glückliche Ankunft
Der Tag, an dem Manon eintraf, hätte festlicher nicht gewählt sein können. Es war, nach der Krönung, der womöglich bedeutendste Tag in der Regierungszeit des Königs: Ein Opferfest, das zum letztenmal vor neununddreißig Jahren begangen worden war und zu Lebzeiten des Königs gewiß nicht wiederholt werden würde. In einem vom Monsun-Palast aus nur zu Fuß erreichbaren Bergtal, das sonst die stille Heimat eines heiligen Eremiten war, hatte man unter einem bunten Zeltdach neunundneunzig kleine Brandopferaltäre gemauert. An jedem dieser Altäre würde ein Familienvater aus einer der ehrenwerten Kasten sitzen und ein Speiseopfer von Butter, Mandeln, Nüssen, Honig und Öl so oft aufs neue darbringen, bis im Gesamten die Zahl von hunderttausend erreicht war. Von oben bis unten waren die Felsen mit heilig-bedeutsamen Zeichen und apotropäischen Symbolen bemalt und das Steingeschiebe ganz und gar in einen von Menschen geschaffenen Tempelbezirk verwandelt worden. Tausend heilige Einsiedler und Asketen aus ganz
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