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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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mit dem symbolischen roten Samtkissen als sparsamem Zeichen royaler Herrlichkeit, das schwammdurchzogene Gemäuer, das rostige Wellblechdach. Ich stellte mir die melancholisch sanften Blicke vor, die sie darüber schweifen lassen würde, mit der geheimen unaufgeregten Gewißheit, hier am falschen Platz zu sein. »Stoffe und Steine« gab es in Sanchor nicht zu kaufen. Alle Akzidenzien des Königlichen waren verwelkt, abgestorben und abgefallen. Übriggeblieben war nur das Königtum selbst in einer zerbrechlichen, aber reinen und womöglich gar geläuterten Gestalt. Ich wußte plötzlich, daß ich Manon hassen würde, wenn sie an Sanchor mäkelte. Es war vielleicht gut, daß wir uns ausgerechnet hier wiedersehen sollten. Hier würde sie sich auf die Probe stellen lassen müssen. Hier würde sich erweisen, wieviel Gewalt sie noch über mich besaß.
    An Iris dachte ich nur flüchtig. Sie ging in der Arbeit an der Fledermauskammer auf und behandelte mich kühl und ironisch. Ein nächtlicher Besuch bei ihr war nach der unwirklichen Liebe in dem heißen kleinen Lustgemach nicht zwingend geboten. Es war mir aber keineswegs peinlich, daß Manon mich nicht allein antraf. Und sie war in diesen Dingen sachlich. Sie rechnete nicht damit, daß jemand in treuer Entsagung auf sie wartete, und sie durfte das auch gar nicht, wie sie sich verhalten hatte. Bei diesen Überlegungen, diesen Versuchen, mich gegen Manon zu wappnen, pochte mir das Herz bis zum Hals.
    Ich sah sie, die sich mit den Händen an das U-Bahn-Fenster anzuklammern suchte, in ihrem verzweifelten Eifer und fühlte mich wie ein Menschenmörder. Ich war ihr davongelaufen, das war das einzige Mittel, das ich gegen sie zu besitzen glaubte. Nun hatte sie mich eingeholt. Ich würde mit leeren Händen vor ihr stehen. Was würden wir tun? Sie jedenfalls schien sich diese Frage keinen Augenblick zu stellen.
    Ich nutzte die leere Zeit, Virah zu Prinzessin Karōna Devi zu schicken und sie um eine Unterredung zu bitten. Sie trat, ohne anzuklopfen, bei mir ein, mit großen, scheuen Augen, zwischen Verlegenheit und Stolz hörte sie mich an. Eine Mitarbeiterin habe sich angesagt und werde sich im Lauf des Tages einfinden. In dem meinem Schlafzimmer mit dem hohen, aber schmalen Himmelbett benachbarten Saal ließ sie gegenüber der Feuerstelle ein Bett aufstellen. Rot-weiß gestreifte Matratzen trugen die Diener unter Virahs Aufsicht herbei. Die Prinzessin entzündete ein Räucherstäbchen und stellte es in eine kleine häßliche Vase auf den Gipskamin. Das war ihre Geste, die fremde Dame willkommen zu heißen. Ich versuchte Erklärungen über Manon zu erfinden, damit meine Gastgeberin diesen Besuch nicht als Zumutung empfinde, aber meine Worte glitten an ihren großen, ein wenig stumpfen Augen ab. Neugier war nur eine oberflächliche Eigenschaft der Prinzessin Karōna Devi, darunter war sie gleichgültig, jedenfalls was Fremde betraf, schon gar die anderer Rassen mit ihren unausdenklichen Gebräuchen.
    Virah hob die Böckchenstirn und musterte mich finster und wild: »Madam« sei angekommen. Ich hatte mir vorgestellt, Manon hier oben in der Galerie zwischen den bunten Glasscheiben zu erwarten und ein wenig verwirrt von meinen Papieren aufzublicken, wenn sie vor mir stand. Als hätte ich dies Vorhaben vergessen, lief ich hinter Virah her, der barfüßig die enge, dunkle Wendeltreppe hinuntersprang. In der Halle standen Iris und ein junger Mann, der mir bekannt vorkam. Er war so mager, daß ich glaubte, unter seinen Hosen und seinem lose sitzenden Pullover verberge sich ein Knochengerüst, ein schwarzer, kurzer Bart füllte die hohlen Wangen, das dicke schwarze Haupthaar schien alle Kraft aus dem Körper gesogen zu haben, aber die großen Augen brannten dunkel und verachtungsvoll. Nein, ein Verwandter der Herrscherfamilie war das nicht, obwohl seine Souveränität beachtlich war. Die Prinzessin blickte er überraschend höflich an und legte die Handinnenflächen eine Sekunde andeutungsweise ohne Kopfneigung zusammen. Da erkannte ich die Geste. Es war Purhotis kommunistischer Sohn. Iris lächelte still mit gekräuselten Lippen, als lutsche sie saure englische Drops. Durch die weit geöffneten Fliegendrahttüren sah ich draußen am Fuß der Freitreppe einen weißen Ambassador, der von Maggah und einem stets schweigsamen, geradezu unhöflichen Diener ausgeladen wurde, drei große Koffer und eine weiche, übergroße schwarzlederne Reisetasche standen auf dem sandigen Boden.
    »Sie kommt

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