Das Beben
Indien hatten sich zu dieser Zeremonie auf den Weg gemacht, schon in den Tagen zuvor hatte man die Asketen in orangefarbener Toga mit Dreizackstäben und bizarren Turbanen heranwandern sehen. Sie waren in die Opferzeremonien keineswegs einbezogen, sondern würden in der Nähe, unter weiteren Zeltdächern, im Dunstkreis des Opferrauchs lagern und in der Hochspannung der Himmel und Erde zusammenzwingenden Riten ausharren. Wie der König sich auf diesen Tag vorbereitete, blieb mir natürlich verborgen. Schon am frühen Morgen sah ich drei weißgekleidete Priester in der Halle, die Blumen und Tempelspeisen mit sich führten und, wie ich das schon kannte, einer nach dem anderen in das Schlafkabinett des Königs geführt wurden.
Schließlich teilte sich der Vorhang, und der König trat heraus. Er trug ein weißes weites Hemd und die aus rotem Tuch geschlungene Priesterhose, seine Füße in den Sandalen waren nackt. Prinz Gopalakrishnan Singh, durchbohrend und irritiert um sich blickend, folgte ihm in einem hochgeschlossenen dunklen Anzug, aber sonst ganz zivil. Bei diesem Anlaß wären die stolzen königlichen Turbane offenbar verfehlt gewesen; es galt heute nicht zu glänzen und aufzutrumpfen, sondern sich würdig dem gewaltigen Sakral-Automatismus einzufügen. Etwas wehmütig sah ich zu, wie der Herrscher und sein Bruder, nur von dem dünnen Aide-de-camp begleitet, das Haus verließen, an den leeren Wassergefäßen aus Messing vorbei durch das Fliegengitterportal, die Korridorgasse der Throne hinter sich lassend, den sandigen Vorplatz unter den gefräßigen Eukalyptusbäumen überquerend, um hinter der schwarzen Felswand zu verschwinden. Hätte ich ihnen folgen dürfen? »Eröffnet« hatte man mir die »Möglichkeit«. An dieser diplomatischen Formulierung ist aber ablesbar, daß es sich nicht um eine förmliche Einladung handelte.
Ich glaubte indessen, auf Manon warten zu müssen. Ich war davon überzeugt, es den Gastgebern, die heute nur noch durch Prinz Gopalakrishnans Ehefrau Karōna Devi vertreten waren, schuldig zu sein, daß ich beim Eintreffen meines Anhangs erklärend und vorstellend zur Stelle war. Manon allein hätte nicht verdient, daß ich für sie hier einen Tag verwartete. Bei diesem Gedanken war mein Zorn wieder ganz frisch. Säße ich nicht hier als Gast im Monsun-Palast, sondern in einem Hotel, ich hätte keine Stunde auf sie gewartet. Doch nun hatte sie mich wieder dahin gebracht, als sei sie mit dem König von Sanchor, den sie gar nicht kannte, bereits im Bunde gewesen. Daß sie mich aufgestöbert hatte – nichts leichter als das: sie brauchte sich nur hinter Dr. Grothe zu stecken, den Angestellten ihres Vaters schließlich –, war erregend und beunruhigend genug. Sie lief mir hinterher, wie sie dem Untergrundzug barfuß vor den Augen von hundert greisen Japanern hinterhergelaufen war. Sie hatte mich belogen, aber sie schien doch an mir zu hängen. Sosehr mir dieser Gedanke das Herz klopfen ließ, so wenig durfte mich, wie ich wußte, beeindrucken, was andere Leute eine Demütigung genannt hätten. Manon war stolz, jede ihrer Bewegungen sprach davon, aber sie ließ sich durch diesen Stolz an nichts hindern, was ihr eben gerade durch den Kopf schoß. Ich stellte mir vor, wie ihre Freundinnen sie tadelten: »Man darf niemals einem Mann nachlaufen, dann hat man schon verloren« – im übrigen hatte sie keine Freundinnen, vor allem aber konnte sie sich wohl keine Lage vorstellen, in der sie irgend etwas endgültig verloren hätte, gehorchte alles nicht ihrem Willen? Und dennoch, dieser Wille richtete sich offenbar auf mich. Ich war es, dem sie Tausende von Kilometern hinterherreiste. Das mochte eine Laune bleiben – eine Laune war für sie das unerbittlichste aller Gesetze –, aber war es nicht schmeichelhaft, der Gegenstand einer solchen Laune zu sein?
Wenn es nun aber gar nicht ich gewesen wäre, der sie nach Indien lockte? Plötzlich stand mir wieder der »Indisch-magische Zirkus« vor Augen. War es nicht das Wahrscheinlichste, daß sie in Mission des Meisters reiste, womöglich gar in seiner Gesellschaft, und einen Blitzbesuch in Sanchor zwischen die Programmpunkte dieser hochbedeutsamen Reise schob? Ich versuchte, meine Umgebung mit Manons Augen zu sehen. Würde sie den Monsun-Palast nicht einfach unerhört schäbig finden? Hier gab es wahrlich keinen »Indisch-magischen Zirkus«. Die Prinzessin trug Saris, die Manon nicht einmal als Duschvorhang hätte passieren lassen. Der Jeep des Königs
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