Das Beben
Lederpantoffeln ab und begann, durch den Bach zu ihr zu waten, was nicht ganz einfach war, die Steine waren glatt, und die Strömung hatte Kraft, er schwankte und mußte sich zusammennehmen, um stehen zu bleiben. Er ärgerte sich, daß er in diesem Bach so unbeholfen wirkte, gern wäre er mit einem tänzerischen Riesensprung zu ihr gelangt, dies Planschen und Wanken und vorsichtige Vermeiden eines Ausrutschers war unheroisch, und als er am anderen Ufer schließlich den Kopf hob, war sie verschwunden. Nein, nicht vollends verschwunden. Unter den Büschen blitzte es blau-rot.
Er beeilte sich, zu diesem Blau-Rot zu gelangen, aber da war sie schon wieder fort, und es begann eine schwierige, atemlose Jagd. Oft war das Mädchen unsichtbar, oft mußte er stehenbleiben und um sich schauen. Das Mädchen wechselte beständig die Richtung. Manchmal kam sie ihm geradezu entgegen, nur durch einen Busch getrennt flitzten ihre Farben vorbei. Wenn er sie überhaupt nicht mehr fand, klatschte sie in die Hände. Das klang auffordernd, gar frech. So verhielt sich niemand, der entkommen wollte. Das Mädchen war barfuß, aber es flog gleichsam über die spitzesten Steine, es brauchte offenbar den Weg nicht zu beachten, aber Gopal, der einen seiner Pantoffeln auf der Jagd verloren hatte, tat sich fortwährend weh; auch wenn er nicht darauf zu achten versuchte, war der Schmerz ein Hindernis. Während er rannte, sich verhedderte, sich losriß, lauschte, bis das Klatschen kam, und dann von neuem losrannte, niemals mehr von dem Mädchen sehend als die verwischten Farben, wie Bänder an einem abgeschossenen Pfeil, meinte er plötzlich, daß er diese Verfolgungsjagd heute nacht geträumt habe, als er so mühevoll und zugleich gehetzt gelaufen war. Und mit dieser Einsicht wurde eine zweite geboren: Das Wesen, das so atemlos gelaufen war, sei gar nicht er selbst gewesen, er habe diese Vorgänge betrachtet, das Mädchen sei es, das durch seinen Traum gehetzt sei.
Er war davon überzeugt, daß er jetzt plötzlich seinen Traum verstehe. Es war ihm sogar, als sei das Blau-Rot des Wamses auf unbestimmte, nur im Traum mögliche Weise darin vorgekommen, und auch das Mädchen hatte er ja nicht als Gestalt gesehen, er hatte vielmehr mit dessen Augen geschaut und den Schlag von dessen Herz wie von innen, wie aus ihrer eigenen Brust heraus, wahrgenommen. Dies Laufen war eine Erfüllung, außerhalb derer es nichts mehr geben mußte. Und dann, gänzlich unvermittelt, stand das Mädchen vor ihm, neben einem schwarzen Felsen mit blasigen Öffnungen.
Ein mächtiger Baum überwölbte sie. Von der Jagd war ihr nichts anzumerken. Ihre Stirn war rein und blank. Der Schleier ließ vom Scheitel genausoviel sehen wie am Bachrand. Sie war nicht furchtsam, sondern ebenso ernst und ruhig wie zu Beginn der Jagd. Während er aber einen Schritt auf sie zumachte, ging eine Veränderung in ihr vor.
Es begann mit den Augen, die eben noch groß und dunkelbraun gewesen waren und sich nun verfärbten. Fischaugen, die noch wie lebendig blicken, werden in der Pfanne allmählich weiß, und genauso wurden auch ihre Augen weiße Kugeln, aber es war nun klar, daß diese Kugeln zugleich durchscheinend waren, nicht opak wie bei den toten Fischen in der Pfanne, weiß ja, aber weiß glühend, flüssiges Blei, und zugleich welkten und verzehrten sich und schmolzen die Kleider, das blau-rote Wams und der weit schwingende Rock wie dünnes Papier auf einem brennenden Scheit, so kräuselte sich der Rock und flog in hauchfeinen Fetzen weg. Und der Körper, der nackt darunter hervortrat, war gleichfalls weißglühend, und nun war es Gopal, daß das Mädchen wachse, nicht allzusehr, nur wie ein großes Einatmen und Aufblähen war es, als habe es sich, solange es in Gestalt einer jungen Ehefrau aus der Schneider-Kaste nicht nur, was das Kostüm angeht, zurückgenommen, sondern sich auch körperlich irgendwie geduckt und zusammengezogen. Ihre Brüste standen spitz und weißleuchtend vor. Die Brustwarzen bewegten sich. Waren das kleine Schlangenköpfe?
Der Anblick war schreckenerregend, aber Gopal dachte keinen Augenblick an Flucht. Er mußte sich diesem Anblick hingeben. Er trank ihn gleichsam, während seine Beine versagten und er ganz unwillkürlich auf die Knie sank. Und nun hob das Mädchen, die weißglühende Erscheinung, in ihrer übergroßen Erhabenheit die rechte Hand und hielt sie mit gespreizten Fingern in die Luft. Gopal starrte die Hand an, die dort oben verharrte, sich dann senkte,
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