Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
Vom Netzwerk:
verdunkelt. Wenn man die Glastür öffnete, gab es dahinter noch ein rostiges Fliegengitter, das die Menschen vor den Bienen beschützt hatte. Bienen am Haus zu haben galt, wie ich schon erfahren hatte, als günstiges Zeichen. Auch wenn der Haushalt in lebhafterer Verfassung gewesen wäre, hätte man den Bienen nicht verwehrt, womöglich alle Fenster mit Wabenkonstruktionen zuzubauen. Gegenwärtig summten nur einige wenige um die verlassene Stätte herum, vielleicht Abgesandte anderer Völker, die dort, wo sie auf ein Schwestervolk warteten, Öde vorfanden. Mit ein paar Schritten war ich auf der Terrasse, das war schon während der Arbeit meine Angewohnheit gewesen: drei Sätze schreiben, auf die Terrasse gehen, ins Tal zu den Kindern herabblicken, die Drachen steigen ließen, und zurück an den Schreibtisch gehen.
    Auf der Mauerbrüstung sah ich eine weitere Biene, die erste, die ich aus der Nähe betrachten konnte. Sie sah etwas anders aus als europäische, deutlich größer – klänge das bei Bienen nicht komisch, hätte ich gesagt: zwei Kopf größer – und ohne den feinen schwarz-gelb gestreiften Pelz. Diese hier war gleichfalls gestreift, aber unbepelzt, sie glänzte glasig, als habe sie ein Bad in ihrem eigenen Honig genommen. Das Gelb war goldener als bei europäischen Bienen, vielleicht war die Biene auch schwerer. Sie bewegte sich langsam und wie betäubt, als wisse sie nicht genau, wohin es sie hier verschlagen habe. Für den Haushalt des Königs mochte die Zeitlosigkeit gelten, aber für die Natur, die den Palast umgab, rückte die Zeit unablässig voran. War dies nun Herbst oder Winter für die Biene, war ihr das Absterben in die zarten Glieder gefahren? Rund um die vom Rost der Regenrinne rot gefärbten Marmorsäulchen des Vordachs tanzten zwei weitere Bienen, schwerfällig, der Unterkörper hing ihnen herab. Waren dies nicht überhaupt die ersten Bienen meines Aufenthaltes hier? Ich war überzeugt, anfangs überhaupt keine Bienen in Sanchor gesehen zu haben.
    Und während ich nachdachte und den beiden Bienen vor dem strahlenden Rostrot folgte, mußte ich einen wichtigen Augenblick verpaßt haben. Es brauste und brummte um mich herum, wie eine bedrohliche elektrische Klangwolke, in der die Strahlen vieler Funkgeräte sich sirrend und surrend trafen. Ich blickte in die Höhe. Über mir machten sich Millionen umeinandertanzende Bienen daran, die Sonne zu verdunkeln. Die Wolke senkte sich. Die einzelnen Bienen, die ich gesehen hatte, waren eine Avantgarde gewesen, zwei einzelne Regentropfen vor einem Wolkenbruch. Ich machte einen großen Satz auf die Terrassentür zu, aber obwohl die Wolke nun schon mit verstärktem Brausen auf der Höhe meines Kopfes stand und ich bei meiner Flucht Bienenkörper auf mich prallen fühlte, glaubte ich keinen Angriff der Übermacht auf mich wahrgenommen zu haben.
    Die Bienen waren mit sich selbst beschäftigt. Sie hatten sich versammelt, um einander zu fühlen und um gemeinsam dem in jeder von ihnen wohnenden Gesetz zu gehorchen, bei genau diesem Stand des Mondes ihre private Existenz aufzugeben und die Gemeinschaft zu suchen. Nichts Wichtigeres kannten die Bienen jetzt, als im Gebraus, das sie selbst erzeugten, auf und ab zu schweben. Und ebenso plötzlich wie sich die Bienen in ihrer Schwärze über der Terrasse versammelt hatten, waren sie auch wieder verschwunden. Sie hatten sich den leeren, ausgesogenen Waben zugewandt, am Fenster neben meinem Schreibtisch. Die winzigen Löcher der Fliegengitter bewirken einen Lupeneffekt, der das hinter ihnen Liegende schärfer erscheinen läßt und dabei leicht verdunkelt. Gestochen scharf und zugleich verschleiert schwirrte das Bienenheer vor den toten Waben. Im Fensterbogen aber hatte sich schon ein dunkler Kegel gebildet, der wie ein Zapfen hinunterhing. Der Bienenschwarm umsummte ihn rasend, aber die Bienen, die dem Zapfen nahe kamen, lösten sich unversehens aus dem Schwarm und folgten seinem Sog. Ich stand mit dem Gesicht an das Fliegengitter gepreßt. In der formlosen Masse des großen Zapfens wimmelte es von tausend Bienenkörpern, die unablässig von einem Bein aufs andere traten. Wenn der ganze, jetzt schon beinahe um die Hälfte weitergewachsene Zapfen bis zu seinem Herzen aus lebenden Bienen bestand, trug jede Biene im Innern hunderte zappelnde und trippelnde Bienen auf den Schultern in einem Bienengestrüpp, aus dem das Tageslicht ausgesperrt war. Besessenes Summen und stetiges Wachsen; und dabei entstand ein Körper,

Weitere Kostenlose Bücher