Das Beben
Gegenwart wahrgenommen hatte, goß sie zwei Tassen ein, nahm die ihre und kehrte an das Fenster zurück.
4.
Manons Apotheose
»Sanjay ist nett, höflich und intelligent«, sagte Manon, als ich sie auf Purhotis Sohn ansprach. Das war eine Einschätzung des jungen Mannes, die mich reizte und verstimmte. Nichtssagender konnte man sich über den lauernden Finsterling, der sogar dem König nur mäßigen Respekt erwies, wahrlich nicht äußern. Daß er sich im Alten Fort an Iris heranmachte, verdachte ich ihm nicht. Sie ermutigte ihn wahrscheinlich. Männer gehörten bei ihr einfach zum körperlichen Wohlbefinden. Sie war gewiß nicht wählerisch. Das Stucco-lustro-Miniaturenkabinett erlebte nach langem Schlaf eine Wiederbelebung, die auch für andere in Verkommenheit schlummernde Institutionen hoffen ließ. Was nicht vollständig abbrannte und unterging, hatte, wenn es nur irgendwie weiter bestand, Chancen, wieder in Gebrauch zu geraten. Purhoti trat die Aufgabe, als Kustos der königlichen Paläste über die Arbeiten dort zu wachen, offenbar gelegentlich an seinen Sohn ab. Ich hätte mir ausrechnen können, daß der Junge Manon gefiel. Jeder Mann, der mir fragwürdig oder undurchsichtig vorkam, hatte bei Manon gute Karten. Ich sah solche Sympathieerklärungen als unausgesprochene Kritik an mir, als Feststellung dessen, was mir fehlte. Sie gab sich in meiner Person mit einem Mann ab, der ihr eigentlich nicht lag; Männer wie Ivan Schmidt und der Sohn Purhotis besaßen etwas, was mir abging. Ein Eifersuchtsreflex verführte mich, zwei Menschen in einem Atemzug zu nennen, die wahrlich nichts miteinander zu tun hatten. Eine Revolution zu fordern mochte zwar so ähnlich sein, wie mit einem unfertigen Roman herumzuprahlen. Aber Sanjay war gewiß kein Schnorrer, eher ein Straßenräuber. Als solcher gehörte er womöglich zu den irregulären Truppen Seiner Hoheit.
Er war gegen Mittag erschienen, um uns zum König zu bringen, der sich den Tag über im Familientempel unterhalb von Achalghar aufhielt. An diesem Tempel hing er weit mehr als an seinen Palästen. Prinz Gopalakrishnan Singh hatte schon davon gesprochen und unglücklich dabei ausgesehen, daß sein regierender Bruder in diesem Tempel manches wieder aufzurichten gedenke, was von der Zeit angenagt oder gar umgesunken sei. Die Brahmanen mißbilligten das Vorhaben. Ich stellte mir vor, daß Sanjay als kommunistischer Brahmane das grundsätzlich Mißbilligende, kritisch Strenge seiner Kaste in seine neuen politischen Gesinnungen überführt hatte und daß es in dieser Verbindung womöglich noch gesteigert war und dem Geist seines Vaters auf verschlungenen Wegen auch wieder entsprach und entgegenkam. Wir stiegen zu ihm in den Ambassador, nachdem wir uns vor Prinzessin Karōna Devi verneigt hatten, die uns bat, unbedingt zwei Plastikflaschen Mineralwasser mitzunehmen. Ich wußte, wie sehr der König dieses Mineralwasser ablehnte, als sei es Verrat an seinem Reich, wenn man die darin sprudelnden oder vielmehr auch aus großer Tiefe ans Tageslicht gepumpten Gewässer nicht trank. Sie stand zwischen den Flügeln der Fliegendrahttür und blickte auf uns herab und sah auch den mageren, glutäugigen Sanjay in seinen ihn lose umgebenden modernen Kleidern und den bäuerlichen Lederpantoffeln an den bloßen Füßen, aber kein Zeichen des Erkennens erschien auf ihrem ernsten Gesicht, und auch Sanjay grüßte sie nicht. Diese Menschen lebten seit Jahrzehnten zusammen und hielten, vor uns jetzt jedenfalls, eine Reserve aufrecht, als seien sie Fremde.
Sanjay ging mit dem Automotor um, als verberge sich unter der Kühlerhaube ein tückischer, arbeitsunwilliger Sklave, der mit vom Gaspedal bewegten Stimuli zum Trampeln angetrieben wurde. In seiner Miene lagen Trauer und Abscheu, und mir schien, gerade dieser Ausdruck stifte zwischen der neben ihm sitzenden Manon und ihm selbst eine Gemeinsamkeit. Sie sah blitzschnell zu ihm hinüber und gab ihren Zügen gleichfalls einen melancholischen Zug, seelenvoller freilich als der chauffierende Brahmane. Vielleicht glaubte sie, sich der Seinsart dieses Mannes anzunähern und sein Rätsel zu ergründen, wenn sie ein ähnliches Gesicht aufsetze wie er. Die Fahrt durch das Hochtal war schön. Die Palmengruppen, denen wir begegneten, ließen in ihrem Schatten alte bäuerliche Siedlungen vermuten; oasenhafter, sogar luxuriöser Frieden ging von ihnen aus. Kühe hoben die edlen Köpfe, wenn wir schüttelnd heranbrausten, und Landarbeiter, die ihren
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