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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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sich auf den Schenkeln die Ränder seiner Unterhose ab. Hatte Manon das bemerkt? Wer mit dem Meister lebte, konnte sich doch eigentlich nicht für schöne Männer interessieren? Oder gerade doch? War der Meister für sie am Ende ein schöner Mann? Diese Frage war für mich ganz neu. Sie traf mich wie ein Stich ins Herz.
    Am äußersten Mauerrand des Tempelbezirks stand der König, für den Ausflug aufs Land in weißer Hose mit scharfer Bügelfalte und hellblauem Sporthemd gekleidet, das seine jugendglatten, trotz ihrer Länge knabenhaft wirkenden Unterarme sehen ließ. Seine Hellhäutigkeit trat vor seiner dunkelhäutigen Begleitung, den Dienern, Priestern und Dr. Sharma, hervor, nur Purhotis feines Brötchenteiggesicht war heller, aber der Brahmane hatte einen nußbraunen Sohn gezeugt, als seien die politischen Differenzen zwischen Vater und Sohn schon in ihrer unterschiedlichen Hautfarbe angelegt. Dort hinten wurde etwas beraten. Der König sprach mit schönen Gesten und warf seine Hand weit von sich, um sie am Handgelenk dann aufblühen zu lassen, wie eine sich öffnende Seerose. Ein kleiner Vishnu-Tempel hatte einem Erdstoß nachgegeben und war in sich zusammengesunken. Die Marmorsteine, aus denen er gefügt war, lagen auf einem Haufen wie aus dem Baukasten, den ein ungeduldiges Kind beiseite geschoben hat. Am Eingang dieses Tempels war ein Relief aus schwarzem Obsidian eingelassen gewesen, das einen liegenden, die schwellenden Steinglieder bequem und anmutig ausstreckenden, hochgekrönten Vishnu zeigte. Jetzt lehnte es unter einem Baum. Seine Verehrung war nicht unterbrochen worden, wie eine hinter die göttliche Schulter geklemmte gelbe Nelke bewies. Manon stand sinnend vor dieser kleinen Plastik und streckte die Hand aus, als wolle sie die Lust empfinden, den kühlen, schwarzen Körper mit den Fingerspitzen entlangzustreichen.
    »Ein Phantasiekörper«, sagte ich unter Sanjays strengem Blick auf deutsch, »kein Inder hat eine solche Figur. Die Leute hier sind nicht so dionysisch, sie sind mager und zugleich unmännlich weich.« Manon sah mich ernst und aus großem Abstand an und antwortete: »Ja, genau.«
    Als wir uns dem König näherten, fragte ich mich, wie er Manon empfangen werde, und war sogar etwas besorgt, sie ohne weiteres, auf Sanjays Aufforderung hin zwar, nach Achaleshwar mitgebracht zu haben. Iris jedenfalls war nicht gebeten. Eine ohne Mann in Sanchor zurückgelassene Frau, die mit den Händen arbeitete wie eine Scheuerfrau, erzeugte Ratlosigkeit. Es gab gewiß auch Spione. Am Ende berichteten selbst die Fledermäuse dem königlichen Kabinettschef und Volksschullehrer Purhoti allfällige Vorkommnisse in ihrer angestammten Behausung.
    Ich hatte Manon vorzubereiten versucht. Die Aufmerksamkeit, die sie in Europa einzusammeln gewohnt war, würde es hier nicht geben. Niemand würde ihr einen Platz anbieten, niemand vor ihr aufstehen, vielleicht würde sogar niemand das Wort an sie richten. Und dazu würde diese Zurückhaltung noch für besonders höflich gehalten. Ich beschwor sie, keine Damenrechte oder Menschenrechte hier einzuklagen, und erwähnte auch den Purdah der Prinzessin Karōna Devi. Man mußte hinnehmen, daß ein König, der gewohnt war, zusammen mit den Göttern auf den Scheiteln seiner Untertaninnen entlangzuschreiten, für eine Frau wie Manon nicht den richtigen Ton fand.
    Sie sah mich nachsichtig an, als hätte ich vergessen, daß sie ihr Leben, angefangen mit ihrem Vater, bedeutenden alten Männern geweiht hatte, die es liebten, junge Frauen zu belehren und ihnen Vorträge zu halten. Und tatsächlich wußte ich, wie ausdrucksvoll und belebend sie schweigen konnte. Aber war sie auch darauf eingestellt, wie Luft behandelt zu werden? Denn das stand ihr bevor.
    Barfüßig schritt sie über den unregelmäßigen Marmor, der von der Sonne erwärmt war. Ihr neuer langer Seidenschal, die gestreifte Leheria, schleifte hinter ihr über dem Boden und blähte sich im Gehen, als wolle er ihre Knöchel umtanzen. Der König sah uns kommen. Er schien befriedigt, mich zu sehen, und zeigte mir sein bestrickendes Begrüßungslächeln zugleich mit der frommen und anmutigen Verneigung, aber Manon und Sanjay blieben unbegrüßt. An Sanjay richtete er wenigstens gedämpft, gleichsam »beiseite« gesprochen, die Frage, ob ich schon im Inneren des Haupttempels gewesen sei. Es handele sich hier, wandte er sich daraufhin an mich, um einen der bedeutendsten Plätze der Welt. Das sei der Grund, warum er sich

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