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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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    Was Virah und der Aide-de-camp servierten, habe ich vergessen, kleine Gemüseragouts, gelbgefärbten Blumenkohl, gelbe Linsenpaste, Kartoffeln mit gelber Currysauce? Es war jedenfalls etwas leuchtend Gelbes, das wir mit dem lappenförmigen Chapati-Brot aufnahmen. Ich machte mir immer noch die Finger mit der Sauce naß, auch Manon nebenbei, die sie aber so würdevoll an ihre vollen rosa-grauen Lippen legte und ablutschte, daß der König eine Freude gehabt haben müßte, so etwas zu sehen, allein, er sah nicht zu ihr hinüber. Und sie schien in dieser Unbeachtetheit zufrieden.
    Der fledermausohrige Priester erschien. Ihm folgte ein kräftiger, halbnackter Bursche mit geschorenem Kopf und trug ein Teetablett. Der Tee war mit fetter, grauer Milch gemischt, die im Mund so eindringliche Geschmackssensationen hervorrief, wie es einem Körpersekret auch zukommt. Es war mir klar, daß solch ein Picknick, nahe der Erdachse im Tempel, in der ganzen Lässigkeit, in der es ausgerichtet wurde, zu den großen Augenblicken im königlichen Jahr zählte. Der König begab sich hier an die Kraftquellen seines heiligen Amtes und lagerte wie ein Pilger in ihrem Bannkreis, nur daß die anderen Pilger Heim und Dorf verlassen mußten, um hierher zu kommen und die Tempelglocken vor dem Loch zum Klingen zu bringen, der König jedoch behaupten durfte, in diesem Götterbezirk zu Hause zu sein. Nahe unserem Picknickplatz erhob sich das steinerne Tor, in dessen Rahmen einst die berühmte Waage hing, das letzte Mal bei Maharao Saroop Singh, dem königlichen Großvater. Hier war der Herrscher an seinen Jubeltagen in Gold und Silber aufgewogen worden. Es muß wie eine wirkliche Elevation ausgesehen haben, wenn der thronende König sich, nachdem ein weiterer Beutel mit goldenen Guinees auf den schon beachtlichen Haufen der anderen Waagschale gelegt wurde, plötzlich sachte zu schweben begann, während sich die Schale mit den Kästchen und Säckchen allmählich, wie von einer Vogelfeder berührt, hinabsenkte. Vielleicht brauchte man gar nicht so viel Gold und Silber, um einen sportlichen, asketischen König aufzuwiegen – wenn nicht gerade Seine Hoheit Laxman Singh unter dem Waagebalken Platz nahm, der Zweieinhalb-Zentner-Riese. Ich war überzeugt, daß der König dem Wiegefest deshalb nicht nachtrauerte. Aber unter dem Marmorjoch des Wiegebalkens stand er gern, und zwar in der Mitte. Er gestattete mir, ihn dort zu photographieren, oder regte das Bild vielmehr selbst an. Es ist das einzige Bild, das ich von Seiner Hoheit besitze. Er scheint durch das Tor höchst wach und bewußt und in bester Haltung, langbeinig, kleinköpfig, breithüftig, von einem Seinszustand in einen anderen zu schreiten.
    Während wir lagerten, ging die Unterhaltung weiter, vor allem in den Pausen der Motorsäge, leicht und flüssig, und immer vom König angeregt, der den einzelnen Gästen kurz das Wort erteilte, und während sie sprachen, hingebungsvoll und wählerisch unter Einsatz seiner schönen, langen Hände winzige Portionen der einfachen Speisen zum Munde führte.
    »Die Amerikaner stehen vor einem Krieg mit dem Irak«, sagte er und sah sich mit seinen großen Augen eigentümlich befriedigt um. »Halten Sie diesen Krieg für einen Fehler oder für eine Notwendigkeit?«
    Prinz Gopalakrishnan Singh wiegte unruhig und bedenklich sein Haupt und sagte: »Die Amerikaner sind stark.« Doktor Sharma pflichtete ihm bei: Sehr, sehr stark seien die Amerikaner, sie könnten machen, was sie wollten.
    »Sie machen, was sie wollen«, sagte Sanjay mit einer Schärfe, die in dieser Runde überraschte.
    Der König sah ihn ernst an. »Dies alles gehört zu den Eigenschaften der Demokratie. Demokratien vermögen nicht, Erfahrungen zu machen und Erfahrungen weiterzugeben – sie sind immer im Zustand von neugeborenen Kindern, kopflos und deshalb von planloser Gewalttätigkeit.« Er forderte Purhoti auf, die Prinzipien des Umgangs mit dem Feind aufzuzählen, wie sie in Indien seit langem – »seit Tausenden und Abertausenden Jahren« – überliefert seien. Purhoti schwieg eine Weile, als wolle er deutlich machen, daß er nicht wie ein Schüler eine auswendiggelernte Lektion herbeten wolle, sondern sie wie ein Lehrer ins Gedächtnis rufe. Es fiel mir auf, daß der König dabei Sanjay im Auge behielt, zu gewissen Ausdrücken Purhotis zufrieden lächelte und eine geradezu werbende Miene aufsetzte, als appelliere er an alles, was auch Sanjay wissen und gutheißen müsse.
    »Ein

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