Das Beben
rief schließlich nach einem Diener. Es erschien Maggah, der so ungeschickt und stallburschenhaft war, daß er an dem königlichen Picknick nicht hatte teilnehmen dürfen, aber man muß auch einräumen, daß Virah mit ernst und böckchenhaft geneigtem Kopf in seiner Aufmerksamkeit und Geschicklichkeit schwer zu übertreffen war, außerdem hätte Maggahs kräftiger Körper nicht in die kindergroße Livree Virahs gepaßt. Maggah führte mich in den großen Salon und öffnete kurz danach die Flügeltür für die Prinzessin.
Sie bedaure, die Pläne ihres Schwagers nicht zu kennen. Niemand kenne sie im übrigen, aber gewiß wolle er Miss Manon noch etwas zeigen. Hiseinis sei groß darin, noch schnell etwas zu zeigen, da verzögere sich dann ein Essen leicht um Stunden. Lag Amüsement auf ihren diszipliniert verschlossenen Lippen? Hätte sie gewußt, was ich fürchtete und wie wenig es mit dem königlichen Schwager zu tun hatte, womöglich hätte sie ihr Lächeln nicht unterdrücken können. Seine Hoheit mochte treiben, was ihr in den kleinen edlen Kopf kam, solange Manon nur nicht länger mit Sanjay, Purhotis unberechenbarem Sohn, allein blieb. Sie war ein Seismograph, was die Beziehung zwischen den Menschen anging. Es war ausgeschlossen, daß sie nicht bemerkt hatte, welche Wichtigkeit Sanjay offenbar für den Herrscher besaß. Bei allem, was in der Gegenwart des abweisend, ja brütend dasitzenden jungen Mannes gesagt wurde, hatte der König seinen Blick unauffällig auf ihn gerichtet. Seine politischen Lehren waren vor allem für Sanjays Ohren bestimmt, der sie bis zum Überdruß von seinem Vater her kennen mochte. Wer wie Manon ganz abstrakt nur Wellen und Ströme aufnahm und sich um das Gesagte selbst nicht scherte, hatte, so kam mir jetzt vor, alle atmosphärischen Strudel nur um Sanjay, den schweigenden Gast, herum wahrnehmen müssen. Es war gewiß ganz ohne bewußte Absicht geschehen, daß sie nach solcher Vorbereitung in Sanjays Ambassador geraten war, wie eine Kugel langsam einem Loch entgegenrollt, und wenn sie es erreicht hat, noch eine Runde auf seinem Rand tanzt, um dann mit zufriedenem Plopp darin als dem Ort ihrer physikalischen Bestimmung zu landen. Und doch war an dieser angeblichen Absichtslosigkeit und Zwangsläufigkeit eine unerhörte Unverschämtheit beteiligt. Das wurde mir jetzt klar. Ich konnte dies Betragen nun nicht mehr mit einem leise jammervollen Dulden hinnehmen wie so vieles bisher. Warum hatte sie mich aufgestört, wenn sie mich wenige Stunden nach dem Wiedersehen schon gegen den ersten Besten austauschen konnte? Sie mochte eine Verzauberte sein, sie mochte unter fremdem Gesetz stehen, sie war ein Rätsel, gewiß, aber sie war auch die Tochter ihrer Eltern. Sie war ein Mitglied der Gesellschaft, sie war eine Erbin, sie lebte in einer Welt der Pflicht und der Konvention. Sie hatte nicht nur einen erfolgreichen Vater, sondern auch diese erzbürgerliche Mutter, die sich ein solches Verhalten gewiß in ihren kühnsten Phantasien nicht vorstellte. Schlecht sieht es um den Liebhaber aus, der seiner Geliebten ihre Eltern als Beispiel vorhält. Aber das tat ich nun.
»Wie bitte?« fragte die Prinzessin. Ich hatte unwillkürlich vor ihr die Lippen bewegt, um Manon zu beschimpfen und anzuklagen, und ganz die Gegenwart meiner Gastgeberin vergessen.
Ich litt jetzt alle Arten von Höllenqualen: daß sie mit Sanjay allein sei, ihm lauschte, von ihm wer weiß wohin geführt wurde, alles genoß, alles mit großen Zauberaugen ansah und den jungen, größenwahnsinnigen Provinzgockel zu seiner geballten selbstsicheren kleinen Männlichkeit anschwellen ließ. Wie dies auf meine Gastgeber wirken mußte, war nicht zweifelhaft. Manon war erschienen, um Mrs. Jenkins Nummer zwei zu spielen. In dieser engen dörflichen Welt würden alle noch schneller Bescheid über die neue Lage wissen als ich selbst. War da bei der Prinzessin nicht schon etwas leise Lauerndes? Man mag es der mangelnden Großherzigkeit, einem Defekt meiner Liebe zu Manon, anlasten, daß ich mich nun in diesen, letztlich selbstsüchtigen Gedanken der Verletzung meiner eigenen Ehre flüchtete, aber war das wirklich so unverzeihlich? Zugleich nährte ich die heimliche Hoffnung, daß sie es nicht zu weit treiben würde. Sie war keine Wilde, sie haßte mich nicht. Sie würde mich nicht schnöderweise einer Laune aufopfern. Aber wenn ich mir das vorsagte, war auch gleich der Zweifel wieder da. Wieso sollte sie all das nicht tun? Hatte sie nicht schon
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