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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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König sollte stets das Gleichgewicht der Kräfte zwischen den zwölf Monarchien erwägen, die den Kreis jener ausländischen Souveräne bilden, die mit seiner eigenen Regierung in Beziehung stehen ...«
    »Es sind nicht immer zwölf«, warf ich ein, von Manons unwilligem Seitenblick gestreift. Es war ein Lapsus; ihr hatte ich Zurückhaltung auferlegt, und selbst konnte ich den Mund nicht halten.
    »Es sind immer zwölf«, sagte der König kurz, »wenn man genau hinsieht, sind es immer zwölf.«
    Purhoti fuhr fort: »Die Monarchen, deren Reiche aneinandergrenzend vor einem invadierenden Herrscher liegen, sollten von ihm nach folgender Regel als Freunde oder Feinde behandelt werden: Der Fürst, dessen Land an das Reich des invadierenden Monarchen grenzt, sollte als Feind behandelt werden; der Fürst des Landes dahinter als Freund, der Fürst, dessen Land hinter diesem liegt, als Freund des Feindes, der Fürst des wiederum dahinterliegenden Territoriums als Freund des Freundes und der König des daran grenzenden Reiches als Freund des Freundes des Feindes. Diese sechs Monarchen einschließlich des invadierenden bilden die erste Hälfte des Mandalas ...«
    Purhoti hatte die Aluminiumnäpfe, aus denen uns der Linsenbrei serviert worden war, sie glichen Hundenäpfen, ergriffen und eine kreisförmige Ordnung daraus geformt; bei jedem Reich, das er erwähnte, wies er auf einen Napf. Nur ich lauschte ihm gebannt. Alle anderen wußten, was er sagen wollte und sollte und ruhten sich heiter in dieser Gewißheit aus. Nur sein Sohn brachte diese Heiterkeit nicht auf. Er sah zu Manon hinüber, als überwache er ihr Lauschen auf die väterliche Lektion, aber Manon folgte dem Vortrag nicht, sondern sah frei und ernst zum König hinüber, als sei sie ganz allein in einer Gemäldegalerie und betrachte versunken ein Bild, das sich in seiner Schönheit allmählich offenbarte.
    »In gleicher Weise muß der invadierende Monarch die Beziehungen zu jenen Staaten, Fürstentümern und Reichen behandeln, die die andere Hälfte des Mandalas bilden. Der Fürst, dessen Reich unmittelbar an die Rückseite des eigenen Reiches grenzt, der Parshnigraha, muß als Feind betrachtet werden, während der Souverän des Landes dahinter, der Atvanda, als Verbündeter zu gelten hat, der König des wiederum dahinterliegenden Landes, der Asara, als Freund des feindseligen Parshnigraha, während der Souverän des dahinterliegenden Landes, der Akrandasara, als Alliierter des Atvanda zu gelten hat. Ein Fürst, dessen Territorium unseligerweise zwischen denen eines invadierenden Monarchen und seinem Feind liegt, wird Madyama genannt. Ein Fürst, der außerhalb dieses Kreises von Monarchen steht und imstande ist, ihnen allen Gutes zu erweisen oder einen von ihnen zu strafen, wird Udashina genannt, der neutrale König.«
    »Aus all dem ist vollständig klar«, sagte der König, »im gegenwärtigen Konflikt ist Israel als Teil Amerikas anzusehen, noch mehr als ein Vasall, ein wirkliches Glied dieses großen, mächtigen Reiches. An Israel angrenzend haben wir Jordanien, Syrien und Ägypten: seine natürlichen Feinde. An Jordanien und Syrien hinwiederum grenzt der Irak: also der geborene Freund Israels und Amerikas. Mit dem Irak Krieg zu führen, beschädigt deshalb die natürliche Ordnung in dieser Region, alles andere wäre sinnvoller.« Der König sah genießerisch um sich. »Präsident Bush sollte Verbindung mit einem echten Monarchen aufnehmen, mit mir etwa. Wir haben diese Dinge in den Venen, von denen er als Demokrat glaubt, sie ganz allein neu erfinden zu müssen.«
    Der fledermausohrige Priester, der kein Englisch verstand, schaute leer vor sich hin und überreichte plötzlich der neben ihm lagernden Manon eine Rosenblüte aus dem Sanktuarium. Sie nahm sie mit leichter Verneigung an und roch an ihr.
    »Jetzt kann sie die Blüte wegwerfen; nachdem sie an ihr gerochen hat, ist sie profanisiert«, sagte der König zu mir, in einem geradezu abschätzigen Ton. Ich war verblüfft, daß er Manon überhaupt wahrgenommen hatte. Auch jetzt richtete er kein Wort an sie. Doch als wir aufstanden und noch plaudernd und das Abendlicht auf den kleinen Tempelkuppeln bewundernd zusammenstanden, war er auf einmal an Manons Seite getreten.
    Sie trug ein einfaches, weit über das Knie reichendes Seidenkleid, wofür ich ihr überaus dankbar war, ich hatte gefürchtet, sie werde sich bei ihrer Vorliebe für »Stoffe« irgendwie indisch verkleiden, aber außer den inzwischen

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