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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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trotz luftiger Meerfahrt in feinstem Hellgrau ab, und diese zarte Färbung übersetzte ich mir ohne weiteres in einen nur leicht angerauchten Meerschaumton. Ihre Blässe und lebensfrische Weiße war im Sturm- und Sonnenbrausen nur leicht gebrochen und angehaucht worden. Ob sie sich wirklich ebenso hartnäckig wie der Meister den Sonnenstrahlen in der glitzernden Wasserfülle ausgesetzt hatte? War dies Photo wirklich ein Schnappschuß und nicht vielmehr ein gestelltes, kunstvoll arrangiertes Bild? Ohne den wildhaarigen Mann an ihrer Seite verlor Manon das Verwahrloste des freizügigen Lebens auf dem Wasser. Ihr Haar war frisch gewaschen, nicht von Salz und Schweiß verklebt, sie hatte nicht die von Strapazen und Bordschmuddeligkeit mitgenommene Erscheinung, wie sie das Segelbootwesen mit sich bringt. Ihr Körper schimmerte nicht von Sonnenöl, er war appetitlich wie ein Pfirsich, von teuren Lotionen gesalbt, frisch aus der Badewanne, das meinte ich erkennen zu können. Die Grübchen in ihren Knien ließen die schlanken Beine mit einer leichten, mich anrührenden Neigung zur X-Beinigkeit säuglingshaft, weich und voll wirken. Unter den hellen Löckchen ihres Schamhaares tat sich ein winziges Dreieck auf, durch das man hindurchblicken konnte, das war wie eine ihr verborgen gebliebene Schwäche – sie konnte doch unmöglich wissen, daß man dort unten hindurchgucken konnte, und obwohl dies Dreiecksloch zwischen den schief eingesetzten Oberschenkeln und den Löckchen ja keineswegs ein Makel war, beschäftigte es mich sonderbar, daß es an ihrer vollkommenen Erscheinung Eigenheiten geben sollte, die ihr nicht bekannt waren. Ich war inzwischen fest überzeugt, daß diese Frau die Bootsfahrt des Meisters nicht oder nur zum kleinen Teil, der die Erscheinung nicht hatte angreifen können, mitgemacht hatte. Sie hatte sich aus einer bizarren Laune heraus einfach neben den Naturapostel gestellt und bewies doch eigentlich sogar Witz, bei dieser Gelegenheit die Brüste verhüllt zu lassen.
    Kannten Manons Eltern dieses Photo? War die Nacktheit durch die Anwesenheit des weltberühmten Künstlers, der aus seiner Hosenlosigkeit letztlich sogar eine hochmoralische Sendung gemacht hatte, auch für Herrn und Frau Gran inmitten jener animistisch-afrikanischen Stammesgötter mit den ausdrucksvollen Geschlechtsteilen akzeptabel? In der Theorie ganz gewiß: Hätten sie den Meister in Tiefdruck auf schwerem Papier einer luxuriösen Kunstzeitschrift betrachtet, so hätten ihre Augen gewiß wohlgefällig auf seiner Nacktheit geruht. Anders mit Manon daneben. Da verblaßte, so war ich überzeugt, die Theorie vor den Stichflammen von Eifersucht und Empörung, die unfehlbar aus den Augen von Gran père schlagen würden. Manon führte ein Doppelleben, womöglich sogar ein Tripelleben, wenn meine Eingebung, daß ihre Nacktheit womöglich eine gleichsam nur geschauspielerte war, ins Schwarze traf. Ich beschäftigte mich mit dem Photo wie ein Sammler, der einen seltenen Kupferstich ergattert hat. Ich fuhr mit der Nase darüber. Manons Körperdüfte schlugen durch das metallisierende Hellgrau nicht durch. Wohin damit, dachte ich schließlich. In die Mappe mit dem ökologischen Hotelprojekt unter den grünen Schnee? Nein, nicht zurück in die Sphäre des Meisters, entschied ich. Der lag im Papierkorb und sah seiner Zerknitterung entgegen. Das hellhäutige Mädchen mit seinem ernsten Lächeln und der dunklen, haarigen Hand auf der Hüfte sollte am Tageslicht bleiben, obwohl ich mich vor meiner Sekretärin etwas genierte. Anna Pfeiff ist die strengste Richterin jeder Frau, die sie in meiner Nähe entdeckt. Ich fürchte oft, sie traut meinem Geschmack so wenig, daß es schon an Verachtung grenzt.
    War ich bezaubert, erregt, intrigiert von Manons Photo? Das gestochen scharfe Bild, das von einem guten Photographen stammen mußte, offenbarte ihren Körper in seiner ganzen herausfordernden Pracht und seinen Eigentümlichkeiten und kleinen Fehlern, ohne im strengen Sinn ein erotisches oder erotisch anregendes Bild zu sein. Ohne Hose, dafür aber mit Bluse wirkte der Körper zwar viel ausgezogener und ausgestellter als ein vollkommen nackter, das wissen die Hersteller von erotischer Kunst seit ältesten Zeiten und geben ihren Modellen deshalb stets ein Restchen Stoff oder Pelz mit, zu klein, um die nackte Haut tatsächlich bedecken zu können. Aber hier war die Wirkung eine andere. Das Fehlen jeder Koketterie auf ihren Zügen, ihre Heiterkeit und Souveränität

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