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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Schlimmeres ins Werk gesetzt?
    Ich verließ die Prinzessin, ohne ihr meine Sorge um Manon mitzuteilen. Nur nicht noch aussprechen, was mich mit Angst erfüllte! Nie war mir mein Quartier im Seitenflügel des Palastes so trostlos vorgekommen. Die wenigen schwachen Glühbirnen in meinen Sälen und Galerien glommen in riesigen, bedrohlich schwarzen Schattenmeeren. Es war kalt, und es gab keinen Winkel, in den ich mich behaglich hätte zurückziehen können, als das Bett. Im Bett wollte ich Manon aber nicht erwarten. Schließlich mußte sie jeden Augenblick eintreffen. Draußen fegten die Fledermäuse vorbei. Die Hunde im Tal begannen ihr Gebell, zunächst ein einziger, der nach kurzer Zeit schon heiser wurde, die anderen aber schließlich von seinen Anstrengungen überzeugt hatte; von allen Seiten setzten die unterdrückten Hundeseelen, die sich tagsüber nicht mucksen durften und ihre Verächtlichkeit selber empfanden, mit geradezu rhythmischem Bellen ein, das nicht verstummen würde, so dachte ich, bis Manon zurückkehrte. Gewiß war dieser Ausflug nur eine Narretei. Auch Purhotis Sohn würde wie Ivan Schmidt irgendeine fruchtlose intellektuelle Anstrengung vorzuweisen haben, einen Plan zur Abschaffung der Kasten oder für die Alphabetisierung der ländlichen Bevölkerung in Sanchor, den er ihr mit bohrenden Augen gewiß packend genug vortragen würde, dann aber, nachdem sie innigsten Anteil an diesem Kampf genommen hatte, würde sie zu gähnen beginnen. Ich beruhigte mich ein wenig. Sie erlebte womöglich Erstaunliches, tat Einblicke in das Leben des Landes, die ihre Phantasie beschäftigen würden und die sie letztlich mir zugute hielt, weil ich es war, der sie nach Sanchor gebracht hatte.
    Es klopfte. Ich fuhr zusammen. In der Tür stand Virah, wieder in das vertraute Khaki gekleidet, und hielt einen großen Korb mit Holzscheiten vor sich, einen Gruß der Prinzessin, die besorgt war, mich bei der Abendkühle so allein und fröstelnd in den hohen, kahlen Zimmern zu wissen. Er beugte sich zum Kamin und baute kundig einen schönen Scheiterhaufen, den er mit einer Flasche Brennspiritus übergoß. Das enttäuschte mich etwas. Einem Nomaden und Kuhhirten hätte ich das Feuermachen auch ohne eine solche Flasche zugetraut. Ich fragte ihn nach Hiseinis – das Wort verstand er, viel mehr nicht. Ich entnahm seinen Gesten, der König sei nach Sanchor gefahren.
    »Madam?« fragte Virah nun zurück. Er lächelte ungewöhnlich dreist, dreist und unterwürfig. Das verbot mir, mich nach Manons Verbleib zu erkundigen. Madam komme bald zurück, sagte ich hochmütig, ohne ihn anzusehen, und schaute ins Feuer, das etwas zusammengesunken war, aber die Scheite kräftig umfaßte. Das Starren ins Feuer schenkte mir einen gewissen Frieden. In den Flammen verbrannten die Gedanken- und Assoziationssplitter, die die Unruhe von meiner eifersüchtigen Aufwallung übriggelassen hatte. Die Wärme stieg in die kalten Füße. Das physische Wohlbehagen erfaßte auch den Geist. Ich sann darüber nach, daß ich in wohlerwärmtem Zustand weniger eifersüchtig sei als in ausgekühltem. Was bedeutete das? Beim Nachdenken schlief ich ein. Virah mußte in der Nähe geblieben sein und das Feuer bewacht haben, sonst wäre es viel früher erloschen. Als ich erwachte, war der Korb von Scheiten geleert und die ganze Holzpracht ein säuberliches, von innen rot durchglühtes Häufchen Asche. Ich war steif und benommen. Meine Kräfte reichten gerade, mich zu entkleiden und ins Bett zu sinken.
    An Manon dachte ich nur flüchtig. Ob sie wohl gekommen war? Jedenfalls schien ihre Abwesenheit keine Besorgnis auszulösen. Ich schlief so gut, wie ich, wenn heimliche Sorgen mich drückten, immer geschlafen habe. Der Schlaf ist mein Freund. Seit meiner Jugendzeit steht er bereit, um mich aufzufangen, wenn ich nicht mehr weiterweiß. Ich frage mich manchmal, ob ich durch diese Fähigkeit, im Schlaf die schlimmsten Anfechtungen wegzuschieben und verblassen zu lassen, nicht um etwas gebracht werde, um das Hinabtauchen auf den Grund des Leidens und der Schmerzen, und ob ich für diese Selbstschonung womöglich eines Tages bestraft werde. Vielleicht gibt es dort unten etwas, was für die weitere Lebensreise unentbehrlich wäre. Dann stünde ich mit leeren Händen da, ohnehin meiner natürlichen Haltung. Auch jetzt, als ich durch Virahs Morgengruß erwachte und die Teetasse entgegennahm, stand ich dem, was mich erwartete, mit leeren Händen gegenüber.
    Auf dem Tablett stand

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