Das Beben
ein Gürtel und ein Rock, und wenn man die Tür öffnete, vor der der Rock lag, stand man im Bad, in dem zwanzig verspiegelte Glühbirnen eine Vielzahl von Kristallfläschchen mit cognac- und tee- und sherryfarbenem Inhalt anstrahlten. Warum müssen Parfums bräunlich sein? Warum nicht rot oder grün? In Manons großem Wohnzimmer stand eine Vase mit hohen dunkelroten Rosen, alle vertrocknet und mit geneigtem Kopf. Wer hatte dunkelrote Rosen geschenkt? Vor einer Woche oder zehn Tagen? Ich empfand meine Frage als kleinlich. Manon hatte mir ihren Wohnungsschlüssel überlassen. Ich mußte ihr vertrauen. Sie verbarg nichts vor mir. Wie leicht wäre es gewesen, diese Rosen wegzuwerfen, bevor ich die Wohnung betrat. Sie hatte sie stehenlassen, weil es auf diese Rosen und ihren Schenker nicht ankam, das würde mit einem nebenbei gesprochenen Wort geklärt werden. Aber nein, im Grunde war es nach Erhalt des Wohnungsschlüssels und der damit geschehenen Auslieferung ihres gesamten Privatlebens unmöglich, noch eine Frage nach diesen Rosen zu stellen.
Ich hätte nun ungestört Manons Schubladen, Schreibtisch, Kommoden durchsuchen können, Briefe lesen, die offen umherlagen, nach Lebensspuren stöbern, die mir Verborgenes kundgetan und mir Unverständliches aufgeklärt hätten, aber damit hätte ich mich dieses Schlüssels unwürdig erwiesen, den ich nicht verlangt, sondern gleichsam geschenkt bekommen hatte. Außerdem konnte sie jeden Augenblick eintreffen. Es war kaum Zeit, die welken roten Rosen in den schon gut gefüllten Mülleimer zu stampfen, die Löwenmäulchen aufzubinden, in die freigewordene Vase zu stellen und die Vase wieder zurück zu dem mit dicker Staubschicht bedeckten Flügel zu bringen. Ich goß mir einen Cognac ein – viel war in keiner der auf einer Truhe zusammengedrängten Flaschen mehr drin – und setzte mich aufs Sopha. Die Sonne ging unter und warf durch die Schlitze des ausgestellten Rolladens über Fußboden und Flügel rotgoldenes Leiterwerk. Die Löwenmäulchen flammten marmorn auf. Wie schade, daß Manon die Blumen jetzt nicht sah. Das Sonnenuntergangsfeuerwerk ist so schön, als könne es ewig dauern, aber in zwanzig Minuten war alles vorbei.
Manon ist ein duftendes Lebewesen. Ihre Kleider, die sie so mißhandelt, riechen nach schönen Essenzen und ihrem frischgebadeten Körper, aber in der Wohnung hing kein guter Geruch. Es war ein wenig muffig hier, schlecht gelüftet, ein Schwall wie aus lang verschlossenen Koffern und aus alten Plumeaus kam mir beim Eintreten entgegen. Und darunter lag etwas Scharfes, Tierisches. Das wurde, wie ich da versonnen und erwartungsvoll im Abendsonnenschein saß, geradezu ein wenig unangenehm. Ich überlegte, ob ich nicht alle Fenster öffnen solle, um Durchzug zu machen. Andererseits wollte ich von Manon nicht beim Fensteraufreißen angetroffen werden. Geruchsdinge sind immer heikel. Vielleicht hatte das verbrauchte Blumenwasser der Baccarat-Rosen Übles verbreitet. Aber das war inzwischen in den Ausguß geflossen.
Ein dunkles Wesen schob sich vorsichtig durch die Tür: Eine Katze musterte das Zimmer, streifte mit ihrem Blick den Flügel, bemerkte die Löwenmäulchen, sah zu der Truhe mit dem Schnaps hinüber und schoß plötzlich, ohne mich zu beachten, durch den ganzen Raum, kauerte sich vor das Fenster und sprang nach kurzem Zögern vom Boden auf das Fensterbrett. Dort raffte sie ihren Körper so eng zusammen, daß er auf das schmale Bord paßte, und sah unter dem Rolladen auf die abendliche Straße hinab.
Richtig, sagte ich mir, Katzenurin, ich habe es mir doch gleich gedacht. Zu vermeiden war der Geruch nicht, wenn Manon so selten hierher kam. Die Kiste mit dem Katzensand erfuhr gewiß dieselbe Fürsorge wie die Blumenvase auf dem Flügel. Manon hatte mir nie etwas von einer Katze erzählt. Die Katze war nicht dunkel, wie es im Dämmern ausgesehen hatte. Sie war weiß und wie mit Zimtpuder bestäubt, ihre Augen waren hellgrün.
Auf einmal hatte ich die Vorstellung, Manon sei schon in der Wohnung. Erwartete sie mich nicht längst im Schlafzimmer? Das Schlafzimmer war der improvisierteste Ort in ihrer Wohnung. Im Wohnzimmer gab es noch ein paar Barocksessel und Landschaftsbilder in dicken alten Rahmen; ich wußte, hier hatte ihre Mutter gewirkt in der Absicht, ihrer Tochter mit Erbstücken, die nicht zu den afrikanischen Masken paßten, eine elegante Garconnière einzurichten. Ich hörte Frau Gran förmlich erklären, daß man »mit einigen guten
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