Das Beben
Hinzutretenden überschattet. Das war der Hinzutretende schlechthin, der erfahrene Damen-Annäherer, genuiner Restaurant-Falke mit leichtem Zigarillo und halb geleertem Rotweinglas. – »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
»Das ist der Dichter Ivan Schmidt«, sagte ich, indem ich schön brav die mir von ihm zugewiesene Rolle des Einführenden, Wegweisenden, Vorbereitenden übernahm. Der Dichter Ivan Schmidt lächelte anzüglich. Er fühlte sich wohl in seiner Haut. Er übte seinen Oberkörper mit Hanteln. Er war nicht der Seele gewordene Dichter mit dünnen weißen Armen, sondern der Dichter als Mannsbild. Das Dichtersein gab ihm eine zusätzliche virile Qualität. Die trainierten Schultern rollten unter seiner schwarzen Anzugjacke, obwohl sie weit und bequem saß. Ein prachtvoll gesunder Mensch war Schmidt, der Kopf war rasiert, die Fingernägel frisch gebürstet, die Fingerspitzen rosa wie Marzipanschweinchen. Manon sah ihn an – nun, man ahnt, wie sie ihn ansah. Ihr Gesicht war eine einzige sanft vorwurfsvolle Frage. Wer so angesehen wurde, mußte einfach darum bitten, sich setzen zu dürfen. Einem solchen Blick nicht Folge zu leisten wäre unritterlich, mit der dichterischen Virilität unbedingt unvereinbar gewesen. Ich hätte auswendig sagen können, wie Ivan Schmidt sich einführen würde, zu oft hatte ich dieser Erklärung gelauscht.
»Schmidt ist in meinem Fall kein deutscher Name, wir sind italienischer Abkunft, der Name ist eigentlich Scamizzo, aus Venetien, zu Schmidt verballhornt.« Er servierte das wie einen Knalleffekt; unerhörte, das gewohnte Weltbild verrückende Verhältnisse taten sich auf. Kein dankbareres Publikum war möglich als Manon.
»Ach«, sagte sie träumerisch, und vor ihrem inneren Auge schienen die venezianischen Scamizzi durch die schroffen Alpen nach Norden zu wandern, wo sich in der Kälte der Name zusammenzog und sich nördlichen Sprechwerkzeugen anbequemte, bis er zu etwas vollständig Neuem geworden war. Ihre Lippen bewegten sich. Ich konnte ihnen ablesen, wie Scamizzo zu Scamiz, Schmiz und schließlich Schmidt wurde, und wie der Name durch diese Wandlung alles Nichtssagende verlor und zu einem schwarzen Dreispitz wurde, unter dem die lange weiße Pappmaché-Nase einer venezianischen Karnevalsmaske hervorlugte.
»Aber Ivan ...?«
Das war Schmidts zweiter Trumpf.
»Meine Mutter ist Russin.« Die Wörter haben eine schwer zu überschätzende Macht. Es gibt russische Schneiderinnen, Lehrerinnen, Sekretärinnen, Huren, Putzfrauen. Aber »Meine Mutter ist Russin«, das war aufgeladen mit Rossen und Rassen, gespannt bis zum Reißen, verheißungsvoll, natürlich in erotischer Hinsicht. Mir war Schmidts Programm wahrhaft nicht neu. Mit Scamizzo und der Russin zog er durch alle Restaurants und Bars, die seinen Ansprüchen genügten. Alle Kellner kannten sie, denn wenn Schmidt an einem Abend fünf Leute traf, erzählte er seine Geschichte fünfmal. Aber nie abgedroschen, immer funkelnd. Er war professionell wie ein Broadway-Schauspieler, der zweitausendmal in ein und derselben Rolle auftritt. Professionalität gehört zur Kunst. Kein Zweifel, Schmidt war Künstler.
Wahrscheinlich hatte er beobachtet, wie ich mit weit vorgebeugtem Kopf auf Manon einredete, als hätte ich ihr Leben zu retten, während sie träumerisch, zerstreut, friedlich lauschend von meinem Teller aß und den ihren beinahe unberührt zurückgehen ließ. Waren wir nicht unter der Glasglocke der Intimität derart ineinander verschränkt, daß es zutiefst taktlos sein mußte, uns zu stören?
Taktlos gewiß, aber leider nicht unmöglich. Die Glasglocke hatte Sprünge, durch die Schmidt sich hindurchzwängen konnte. Und abgewiesen wurde er nicht, auch nicht von mir, nebenbei gesagt, der ich vor anderen ängstlich bemüht war, Zeichen der Eifersucht zu unterdrücken. Eifersucht hatte einen fatalen Effekt bei Manon. Traurig hörte sie einem Eifersuchtsanfall zu und war danach tagelang, einmal sogar eine Woche lang unerreichbar.
»Kann man nicht auch lieb und höflich zu Leuten sein, die einem nichts getan haben und auch gar nicht weiter in Betracht kommen?« Ich wollte an diesem Abend unbedingt unter Beweis stellen, daß ich das konnte. Wer zwang mich aber, dem Dichter zuzuarbeiten und ihn noch mehr herauszustreichen, als er selbst es schon tat?
»Ivan Schmidt arbeitet an einem großen Roman.« Ich fühlte, wie Manon und Schmidt mich von zwei Seiten in die Zange nahmen. Beide waren sie Instinktwesen, Manon ohnehin,
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