Das Beben
Manon viel Phantasie, wenn sie in einem Schaufenster etwas liegen sah: was man alles damit tun und wie man es zu welchen Gelegenheiten tragen könne. Dann kaufte sie es ohne weitere Überlegung, und dann trieb die Sache auch schon wieder von ihr weg. Wenn es an einem Kleid etwas zu verändern und anzupassen gab, vergaß sie, es später abzuholen. Vieles verschwand in der Reinigung, blieb in Hotelzimmern liegen oder war auf geisterhafte Weise plötzlich weg, obwohl es doch eben noch dagewesen war. Viele neue Kleidungsstücke schenkte sie ihrer Putzfrau, einer hübschen Serbin mit allerdings viel kürzeren Beinen. Von dort wanderten die Sachen in den Sandschak, wo sonntags auf den Dorfplätzen erstaunlich angezogene Frauen herumlaufen mußten.
Es war eine warme Nacht, und die Katze auf meinem Schoß machte mir noch wärmer. Ich verlor mich in halb schon geträumten Gedanken, während mir die Schweißtropfen den Körper hinabrannen. Manons Seele – das war jetzt ein verblüffender Begriff, noch nie hatte ich über Manons Seele nachgedacht. Manon war im ganzen für mich viel zu undurchschaubar, als daß ich das Bedürfnis empfunden hätte, mir zu ihrer körperlichen Erscheinung auch noch eine Seele vorzustellen, das hätte die Verwirrung komplett gemacht. Aber jetzt, in ihrer Abwesenheit, während mir ihre Katze Gesellschaft leistete, als habe sie diese Aufgabe regelrecht übernommen, war »Manons Seele« plötzlich ein faßbarer Begriff. Wie mochte sie aussehen?
Ich vermutete, daß sie klein sei wie eine Erdnuß und ganz ähnlich geformt, ein drüsenhaftes Gebilde, das nicht viel Platz zwischen Herz, Lunge und Rippen beanspruchte. Sie war blütenweiß und bei genauerem Hinsehen reich gefältelt. Wenn man einer Orange mit einer scharfen schmalen Messerklinge das Fruchtfleisch herauslöste, daß zum Schluß nur das Gerippe der weißen Häutchen wie eine weiße Papierkrause übrigblieb, dann entstand ein Gebilde, das mit diesen feinen Seelenfalten vergleichbar war. Die Seele pumpte leise wie ein pflanzenhaftes Wassertier. Die Vorstellung, sie könne durch irgend etwas befleckt werden, war furchterregend. Dies feine Gebilde, in ein Tintenfaß getaucht, wäre für immer zerstört. Und tatsächlich war eine Befleckung oder Besudelung dieser Seele auch überhaupt nicht möglich. »Sie ist in meiner Brusthöhle luftdicht aufbewahrt und vollständig geschützt, was auch geschieht«, hörte ich Manon dicht neben meinem Ohr laut sagen.
Ich erwachte. Auch heiße Nächte kennen kühle Stunden, wenn sie auch manchmal erst so spät kommen, daß es schon wieder hell wird. Frierend und steif saß ich auf dem Sopha, als hätte ich immer noch der Katze als Kissen zu dienen. Die war natürlich längst verschwunden. Manons Schlafzimmer lag im weißen Morgenlicht. Die Katze hatte sich in den Eiderdaunen ausgestreckt. Ich war zu benommen, um wütend zu sein. Die Löwenmäulchen sahen jetzt geradezu schmierig aus, der Kunstmarmor war am Zerlaufen, sie waren verdächtig billig gewesen.
Wie beende ich diese kleine, aber bezeichnende Episode meiner Liebe zu Manon? Es war ihr bestimmt, keine wirkliche Pointe zu haben. Welche Erklärungen sie für ihr Ausbleiben hatte, habe ich vergessen. Ihr Fundus an überraschend zu besuchenden Onkeln und Tanten, die im Sterben lagen und Abschied nehmen wollten, war unübersichtlich groß. Und warum hatte sie nicht angerufen?
»Du hättest doch gar nicht abgenommen«, sagte sie schnell, und tatsächlich hatten wir ausgemacht, daß ich bei ihr nicht an den Apparat gehen würde. Es hatte auch niemand angerufen, der mich in Versuchung hätte führen können. Seltsam, dachte ich jetzt erst, eine ganze Nacht bei einer Frau wie Manon und nicht ein einziger Anruf.
»Und außerdem hatte ich meine Handtasche verloren, mit allem drin, auch dem Telephon, das ich jetzt sofort sperren lassen muß, und die Plastikkarten von der Bank und der Ausweis sind auch weg.« Ein lästiges Mißgeschick, was zählte da eine unbequeme Nacht auf einem Sopha? Es war doch schön bei ihr gewesen? Ja, ich gab zu, daß ich den Aufenthalt bei ihr in vollen Zügen genossen hatte.
Im Leben folgen die Ereignisse nicht wie in den Romanen Schlag auf Schlag. Man muß die Steinchen, die ein Bild ergeben sollen, in weitem Umkreis verstreut aufsammeln. Vieles geschah in den nächsten Tagen. Ich arbeitete angespannt. Ich sah Manon. Sie war zärtlich und komisch. Es waren Begegnungen mit viel Gelächter. Es bildete sich ein Wandschirm aus starken,
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