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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Stücken, die man geschickt mit modernen Möbeln kombiniere«, eine große Wirkung hervorrufen könne. Vielleicht hätte sie es bereut, daß sie ihre »guten Stücke« in dem romantischen Überschwang, mit der Tochter eine zweite Jugend zu erleben, herausgerückt hatte. Die »guten Stücke« gingen zwischen Zeitungsstapeln, herumliegenden Kleidern und Pappkartons unter, aber im Schlafzimmer fehlten selbst solche versprengten und ins Exil geratenen »guten Stücke«. Hier lag, wie in allen Studentenwohnungen Europas, eine Matratze auf dem Boden, ein großes Floß, das zwischen umhertreibenden Kleidern und Schuhen nach einer Schiffsexplosion auf dem Wasser schwamm. Ich sah gemeinsam mit der Zucker-und-Zimt-Katze in das Zimmer. Sie begleitete mich und beobachtete, was ich tat.
    Auf der Matratze lag ein dickes Eiderdaunen-Plumeau, das den Schläfer federleicht mit gewärmter Luft umschmeichelte. Immer fror Manon, immer wollte sie sich wie ein Eskimo in seinem Schlafsack im Iglu zusammenrollen. Sie schlief fest, vollkommen unbewegt. Ich spitzte die Ohren. Hörte ich Atemzüge? Tiefes Schweigen herrschte um uns, wie es nur in der Innenstadt still sein kann, nach meiner Erfahrung mit Landaufenthalten jedenfalls, bei denen immer im Hintergrund ein Traktor rumpelte oder eine Säge kreischte. Für die Katze war diese Stille ihr natürliches Element. In ihrer Welt war jedes Geräusch alarmierend. Sie löste sich von meinem Bein, an das sie sich geschmiegt hatte, und stolzierte auf geradezu affektiert gesetzten Pfoten zum Bett ihrer Herrin. Mit wohlberechnetem Sprung landete sie in dem Eiderdaunenwulst. Die aufgeblasenen Federn sanken in sich zusammen. Die Katze lag in einem luftigen, dickwolkig aufgeplusterten Nest. Mit wenigen Schritten war ich am Bett und griff in die Daunen, um Manons Füße zu berühren.
    Da war nichts. Manon, die eben in der dichten, weichen Umhüllung noch Gegenwärtige, hatte sich in Luft aufgelöst.
     
    Draußen war es jetzt dunkel geworden. Die Straßenlaternen traten an die Stelle des Sonnenlichts und warfen kaltweiße Streifen durch die Jalousien. Der Flügel schimmerte wie ein Eisblock. Ich machte kein Licht an und setzte mich wieder aufs Sopha. Die Katze kam in meine Nähe, sah zu mir hinauf, als wolle sie mir etwas sagen, und sprang dann unversehens in meinen Schoß. Ich legte die Hände auf ihren zarten, atmenden Leib und streichelte sie mit einem Finger behutsam zwischen den aufgestellten Ohren. Sie begann zu schnurren. Wurde ihr Fell durch mein Streicheln elektrisch aufgeladen?
    Warteten wir noch? Dies war ein Zustand, der alles Zielbewußte verloren hatte. Eigentlich warteten wir jetzt nicht mehr. Die Katze teilte mir ihre Zufriedenheit mit, die Funken ihres knisternden Fells sprangen zu mir herüber und machten mich gleichmütig. Es war nicht das erstemal, daß Manon zu spät kam. Hatte sie mir nicht gerade in Vorahnung dieser Verspätung den Schlüssel gegeben? War es nicht beglückend, hier in ihrem Gehäuse zu sein, umgeben von ihren Lebensspuren, von aus dem schönen Elternhaus geerbten »guten Stücken«, von ihrer Wäsche, die noch warm zu sein schien, so schwungvoll weggeschleudert lag sie hier herum, und unterhalten von der kleinen, zärtlichen Gefährtin, die nun dort saß, wo später vielleicht ihr Kopf liegen würde? Wenn Manon kam, würde sie, wie ich, zunächst im Dunkeln tappen, dann ins Wohnzimmer treten, Licht anmachen und vor Schreck einen kleinen Schrei ausstoßen. Diesen Schreck hatte sie verdient, eine kleine Strafe für das Zuspätkommen durfte schon sein.
    Ein Taxi näherte sich, erkennbar durch das Dieselmotorgeräusch, Türen klappten und das Auto fuhr wieder an. Taxis waren Manons übliches Fortbewegungsmittel, denn mit dem Sportwagen, der so gut zu ihr paßte, war häufig etwas nicht in Ordnung, und wenn er schließlich fahrbereit war, verlor sie den Autoschlüssel oder brach ihn ab. Mir war, als entwickele sie einen zu geringen Magnetismus für die Dinge, die ihr gehörten. Es gab da keinen Sog, der die Sachen rund um ihre Person zusammenhielt, sondern eher im Gegenteil eine Zentrifugalkraft, die alles ihr Bestimmte und ihr Gehörende weit von ihr wegfliegen ließ. Wer sie dabei beobachtete, wie sie Kleider und Schuhe und Schmuck kaufte, hätte sie für hemmungslos und besitzgierig gehalten, aber ich war überzeugt, daß es eine solche Besitzgier in ihrer Seele nicht gab. Diese Seele war neugierig und von hübschen Sachen schnell angezogen, und zugleich besaß

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