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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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aber der Dichter eben auch, und zwar mit einer Feminität, die sich neben seiner demonstrativen Virilität mühelos behauptete, und so zogen sie an den Fäden, die aus meiner schlichten Persönlichkeit für sie deutlich sichtbar heraushingen, und ließen mich tanzen. Von Schmidts Roman hatte ich schon viele Male gehört, das ging nun schon Jahre, ohne daß das Buch fertig wurde. Aber Manon, der ich heute abend die ausgefeiltesten Gedanken unterbreitet hatte, war von der Vorstellung eines unfertigen Romans fasziniert. Mit einer an Selbstgefälligkeit grenzenden Befriedigung erklärte Schmidt: »Das Manuskript hat den Titel ›Hoffmann, der Diurnist‹.« Es gehe bei diesem Werk nicht darum, einfach einen weiteren Roman vorzulegen. Die Welt ersticke an Romanen.
    »Uns allen hängen Romane, die sogenannten gut gemachten Romane, zum Hals heraus.« »Hoffmann, der Diurnist« werde das Genre an eine Grenze führen und sie überschreiten. »Mein Held ist negativer Held in des Wortes eigentlicher Bedeutung – er ist ein nicht vorhandener Held, eine echte Leerstelle im Erzählgefüge. Der ganze Roman wird bis an den Helden heran erzählt und endet an ihm wie an einer Betonwand. Und hinter der Betonwand ist nichts. Hoffmann, der Diurnist, ist für mich die Nullposition im Weltkoordinatensystem. Dies System basiert auf der Null. Deshalb könnte man mein Werk ebensogut auch als den ersten kybernetischen Roman der Literaturgeschichte bezeichnen.«
    Schmidt rollte in der leichten Anzugjacke mit den Schultern, es sah aus, als begehre er mehr Raum für seinen muskulösen Körper, als wolle er die Jacke, die ihn doch gar nicht beengte, mit einem Ruck sprengen. Geistige Arbeit war für ihn, das zeigte er uns, etwas sehr Körperliches. Die Null-Kammer, in der Hoffmann, der Diurnist, hauste, war von starken Armen erbaut.
    »Was ist ein Diurnist?« fragte Manon mit der kindlichen Stimme, die sie annahm, wenn sie glaubte, etwas Dummes zu fragen. Tatsächlich gehörten die Badehäuser in den Kellergewölben der Bahnhöfe inzwischen der Vergangenheit an. Der Badediener dort, der Handtücher und Seife an übernächtigte Reisende austeilte und ihnen eine Wanne einließ, hieß in Schmidts Werk »Diurnist«, ein in der Bahnhofsunterwelt hausender Molch, ein Grottenolm, der bei schwachem Glühbirnenlicht in der von faden Seifengerüchen und Wasserdampf erfüllten Luft seiner Kabinen herumweste. Seine Kundschaft kam Schmidts Phantasie entgegen: unrasiertes Gelichter, kranke Prostituierte, ölige Levantiner mit ominösem Gepäck, Alkoholiker und Morphinisten sollten sich nach seinem Willen dort unten einfinden. Hoffmann als blasser Intrigant wäre das eigentümlich eigenschaftslose Bindeglied in diesem Abschaum-Kosmos, und schmutziger Schaum fiel in den Badewannen denn auch reichlich an. Der entstehende Roman war natürlich eine Hommage an die zwanziger Jahre, und sein Autor verstand sich als Abenteurer, als Dandy. Aus dem gefährlichen Leben, dem Moloch Großstadt, rotgefärbten Syphilitikerinnen, Polizeispitzeln und dem anarchischen Milieu in den Kellern der Zivilisation plante er die reine Literatur zu destillieren, eine bombensichere Methode, wie er überzeugt war, um zu unvergänglich schönen Texten zu gelangen. Für Manon waren solche Überlegungen neu. Nicht, daß sie bereit gewesen wäre, einen Roman von Schmidt zu lesen, aber davon erzählen hören war aufregend. Und dann sollte es auf diesen bedrängend scharf riechenden Stoff eigentlich auch gar nicht ankommen, wie Schmidt uns mit Nachdruck versicherte. Für ihn zähle allein die Form, und das glaubte ich ihm sofort, denn seine Augen waren bei diesen Worten angelegentlich auf Manons Brüste gerichtet, von denen man heute Abend viel sah, und so entzückt ich war, als Manon in diesem Kleid aus dem Haus kam, so sehr verfluchte ich es jetzt.
    »Hoffmann, der Diurnist, ist für mich letztlich Gott«, sagte Schmidt, »eine metaphysische Kaverne, die in dem Schleim des Chaos treibt.« Er hatte die Rotweinflasche auf unserem Tisch ausgetrunken und erhob sich gestärkt, nicht ohne uns aufzuklären, daß eine lange Nacht ihn erwarte. Ein solcher Mensch vergnügte sich nicht. Er war ein Nachtraubtier, das auf Jagd ging. Ich hielt es für richtig, mich darüber zu entrüsten, wie unhöflich er zu Manon gewesen sei – tatsächlich sah er sie, nachdem er sich vorher nur an sie gewandt hatte, beim Abschied kaum an. Dieser Fall war erledigt, schien er zu denken, während er die Augen schon wieder

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