Das Beben
in ein Grab. In die Lautlosigkeit hinein ließ der erste Geier sich nun fallen, sein Sturz hatte etwas von dem eines Fallschirm-Springers, erst in halber Höhe öffnete er die Flügel, ohne sie zu schlagen, aber das genügte, um ihn wie eine Feder hinabsegeln zu lassen. In dem in der Form geöffneter Blüten gemeißelten Springbrunnen hoben sich müde Strahlen. Es war ein schwaches Rieseln, das Wasser hatte wenig Druck, aber die Brunnenschalen waren bald gefüllt, und es tropfte silbrig über ihren Rand. Sieben mächtige Geier saßen jetzt im Innenhof um die Brunnen herum. Die Zimmertür der Wahnsinnigen war weit geöffnet, sie selbst nicht zu sehen. Aber es wehten vergilbte Spitzengardinen in mildem Luftzug heraus. Die Geier rührten sich nicht. Dann riß dem zuerst hinabgesegelten das Brustgefieder auf, es wurde von innen mit Gewalt geöffnet, das gab ein knirschendes, trockenes Geräusch, wie wenn man aus einer Jacke das Futter herausreißt. Darunter kamen aber nicht blutige Eingeweide hervor, sondern weiße, glatte Haut. Es war wie beim Aufspringen der Stachelhülle von Kastanien, dies überraschende, glänzend Polierte unter der eben noch vollständig geschlossenen Oberfläche. Der Riß wurde größer, hervor kamen zwei weibliche Brüste, jung und spitz, das Federungetüm saß jetzt mit einem schönen Busen da wie eine Schimäre oder Sirene. Und nun drängten sich auch weiche weiße Arme aus dem Balg, ein Haarwust aus blonden Locken erschien, der Geier fiel wie ein Sack in sich zusammen, und aus seinen Federn stieg ein nacktes Mädchen, sah sich um, reckte nach der langen Zusammengepreßtheit die schlanken, wohlgestalten Glieder und rollte die schmalen Schultern. Auch die anderen Geier sanken dahin, kleine Menschenfüße, schlanke, feste Waden, gewölbte Hinterteile und Bäuchlein arbeiteten sich aus ihnen hervor, und bald war die bedrohliche Vogelschar nur noch ein schwarzer, lumpiger Haufen, während sich um die Brunnen sieben makellos gewachsene junge Frauen tummelten, die ihre zusammengedrückten Haare auskämmten und ihre Locken in der Luft schüttelten.
Ich sah ihre Körper und ihre Hände, die in die Brunnenschalen griffen und mit Wasser spritzten. Sie begannen sich zu waschen, die Mädchen halfen sich gegenseitig, sie seiften einander ein, ihre Schenkel glänzten, und in den kleinen Pelzen dazwischen hing der Schaum. Der Hof schwamm. Sein Marmorboden war warm und sonnendurchglüht, und so legten sich einige Mädchen darauf und ließen sich von den anderen mit Wasser aus dem Brunnen begießen. Aber so genau ich die Körper in ihrer unablässigen Bewegung, ihrem Sich-Winden und Sich-Räkeln sehen konnte, von Wasser erfrischt und wie lackiert, die rosigen Füße, die Brustspitzen, die Achselhöhlen, die sieben runden Hinterteile, so wenig gelang mir, ein Gesicht festzuhalten, ja, mir war geradezu, als hätten die Schönen gar keine Gesichter, ihre Körper seien zwischen Haaransatz und Hals so glatt wie Eier, aber das wollte ich nicht beschwören, es war mit diesen Gesichtern ein ständiges Entwischen, ein Sich-im-letzten-Augenblick-Entziehen. Um so verblüffter war ich, als ich plötzlich Manons Füße erkannte, diese zarten und schmalen, aber zugleich ziemlich langen Füße mit den fingerartigen Zehen und dem hohen Spann, und nun sah ich auch ihre Brüste, groß und rund und nicht so spitz-stehend wie die der anderen.
Es war Manon, und so zeigte sie mir schließlich auch ihr Gesicht, überglücklich und gelöst lachend, während zwei andere Mädchen Wasser über sie gossen und das Haar tropfnaß an ihren Schläfen klebte. Wie sie sich da mit den andern tummelte und streichelte und einseifte und bespritzte! So übermütig und strahlend hatte ich sie noch nie gesehen. Dieses Gesicht hatte sie mir nie gezeigt. Ich wollte sie ertappen. Ich wollte ihr beweisen, daß ich Zeuge ihrer mir sonst vorenthaltenen Fröhlichkeit war. Es war noch mehr in mir: Ich wollte Manon stören. Ich wollte ihr die geheimen Eskapaden versalzen.
Ich wußte genau, daß ich etwas Bedenkliches, womöglich sogar sehr Böses tat, als ich meine Hand hinter der Schachfigurensäule behutsam hervorstreckte, wie sich eine Ratte aus dem Dunkeln ans Licht wagt, und in den formlosen Federhaufen hineingriff. Mit großer Behutsamkeit, gleichsam millimeterweise, zog ich einen der Geierbälge zu mir herüber. In meinem Schlafzimmer stand, das wußte ich, eine hohe messingbeschlagene Kampfertruhe mit einem dicken Schloß, darin würde ich dies
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