Das Beben
Federkleid einschließen.
Und tatsächlich gelang mein böser Plan, wie in Träumen das Böse oft gefördert, das Gute aber rätselhaft behindert wird. Ich kroch auf das Tor zu, während mich das Gelächter der sieben reinlichen Mädchen begleitete, überwand eine Wolke von Fliegen, die sich auf der Schwelle des Innenhofs auf das Geier-Federkleid stürzte, als sei es ein verfaulender Kadaver, gelangte in mein Schlafzimmer, öffnete den Truhendeckel und warf den Balg hinein. Der Deckel glitt mir aus der Hand und knallte zu. Der Donner verbreitete sich über die Gänge und Korridore des Palastes. Es war, als wollten Truhe und Deckel sich auf ewig ineinander verbeißen. Die Truhe war durch den Knall gleichsam zugeschweißt worden, niemand mehr würde sie öffnen.
Dieser Donnerknall, diese hölzerne Explosion muß die Mädchen aufgeschreckt und zu ihren Federn getrieben haben. Aus dem Dachgewirr des Palastes, in dem sich der Schacht des Innenhofs verbarg, stieg Vogel um Vogel auf, bis sechs Geier am Himmel kreisten, als sei der ganze Palast voll Aas. Jetzt war die Stunde meiner Genugtuung gekommen. Im Innenhof fand ich Manon, nun nicht mehr in genießerischer, sondern schutzloser Nacktheit der Verzweiflung nahe. Sie rannte wie eine Gefangene hin und her, um alle Säulen herum, als müsse der Hof in seiner frostigen Kahlheit, wenn sie nur angespannt genug suche, das fehlende Federkleid doch noch herausrücken. Die Fontänen waren in sich zusammengesunken. Auf dem Boden standen Pfützen, als sei dort mit schmutzigem Wasser geputzt werden. Manon hörte meine Schritte. Mir war, als werde sie vor Angst verrückt. Sehnsüchtig schaute sie zum Himmel, wo jetzt schon nur noch zwei und bald gar keine Geier mehr zu sehen waren. Mit den schönen vollen Armen, mit denen sie in den Riesenflügeln gesteckt hatte, konnte sie sich keinen Handbreit vom Fußboden erheben. Sie erkannte, daß sie mir ausgeliefert war, und versuchte, sich hinter den Säulen zu verbergen, die bauchig waren, aber nur einen Teil ihres schwellenden, gesund blühenden Körpers verdeckten. Als sie aufgab, kauerte sie sich zusammen, um ihren Schoß und ihre Brüste mit den eigenen Beinen zu schützen, um die sie die Arme schlang. Ihr Kopf war auf die Knie gepreßt, und als ich die Hand auf ihre Schultern legte, fühlte ich, daß sie am ganzen Leib zitterte.
Ein Zauber kann die Seele zwingen, aber nicht unterwerfen. Ich sah mein ganzes Zusammensein mit Manon unter dem Vorzeichen des gestohlenen und versteckten Vogelbalgs. So fern und abstrus eine alte orientalische Erzählung sich in meinem Leben ausnahm, sie wurde mir unversehens zum Schlüssel all dessen, was mir an Manons Verhalten unerklärlich gewesen war. Wie das Mädchen aus dem Vogelbalg ihren Zwingherrn mit ihrem Körper und ihrem Lächeln freigiebig erfreute und dabei beständig nach nichts anderem trachtete, als das Versteck der entwendeten Flügel zu finden, so hatte auch Manon mich ertragen, während sie in ihrem Innern unablässig damit beschäftigt war, von mir loszukommen. Wenn ihre Augen auf mir ruhten, wenn sie mir scheinbar voll Anteilnahme lauschte, studierte sie meine Miene, ob die womöglich verriete, wo die großen Flügel verborgen waren. Wenn sie, was ich liebte, vor sich hin träumte und in ungezwungenem Nichtstun verweilte, unfähig zur Langeweile, fern von den Ambitionen der Geschäftigkeit, in denen ihre Zeitgenossen schwelgten, hatte sie, um in der Sprache des Märchens zu sprechen, einzig an ihren Vater gedacht, den Zauberer in Indien, an ihre Schwestern und ihre geheimen Freuden, an den Duft und die Luft des Landes, dem sie sich zugehörig fühlte und das jedenfalls nicht das meine war, ich jedenfalls hatte nichts damit zu tun, ich ahnte nicht, worin die Reize bestanden, der ich sie durch meine Liebe beraubte. Das stand mir jetzt klar vor Augen, während ich die Zimmerdecke betrachtete, in der sich das schmale Rechteck von Himmelblau wieder geschlossen hatte.
Aber dann war eingetreten, was sich mit dem alten Märchen von den Vogelmädchen nicht mehr vereinen ließ. Nicht sie hatte die Flügeltruhe aufgebrochen. Ich war es, der ihr entkommen war, ich war es, der in das Land ihres Vaters, des Zauberkönigs, geflohen war, um sie doppelt hilflos zurückzulassen. Wie paßte das in die Vorstellung ihrer Verzauberung, die mich eben noch mit der Offensichtlichkeit unbezweifelbarer Wahrheit erfüllt hatte?
Unversehens stand der alte Diener mit seinem dünnen, wackelnden Hals, der für die
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