Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
Vom Netzwerk:
Ebenholz, zum Teil mit neuen Fabrikbrokaten gepolstert. Es war, als führten diese Sophas eine Quadrille auf, wie sie da Rücken an Rücken, zu Paaren geordnet, als Pendants aufgestellt, in dem milden Licht standen, das von hoch oben aus schmalen Fenstern auf sie herabfiel. Es folgte ein kahles großes Badezimmer, in dessen Riesenwanne rote Rostspuren den Lauf des Wassers aus einem einst tropfenden Wasserhahn bezeichneten. Der König litt ganz demonstrativ überhaupt nicht unter diesem in Jahren mit schwachem Monsun gefährlichen Wassermangel. Sein Bestreben war, mit allen Gegebenheiten in Sanchor einverstanden zu sein und sie entschieden zu bejahen. Wenn die Zeit es nun einmal mit sich brachte, daß in Sanchor das Wasser knapp war, dann gehörte diese Wasserknappheit jetzt zu den Eigenschaften Sanchors, und sie zu beklagen hätte das Eingeständnis enthalten, es sei ein besseres, glücklicheres Reich auf Erden denkbar. Dieser Gedanke allein war eine Treulosigkeit dem Land gegenüber und beschädigte die königliche Würde. Wenn man so bedürfnislos lebte, wie es dem König selbstverständlich und natürlich war, fiel der Mangel an Wasser auch gar nicht auf.
    Hinter dem Bad mit seinen alten, wuchtigen Armaturen trat man wieder ins Freie, Laternen hingen in diesem Peristyl, deren rote und blaue Gläser zum Teil gesprungen waren. Sonst aber herrschte Ordnung und eine etwas schmucklose Reinlichkeit. Fegende Menschen mochten hier regelmäßig hindurchgehen. Was zerbrochen war, blieb sich selbst überlassen, aber abgestaubt wurde immer noch gelegentlich. Gebäude von unterschiedlicher Höhe lagen zu Seiten des Peristyls. Die Fenster waren blind und wohl schon lange nicht mehr geöffnet worden. Architektonisch war diese Hinterhoflandschaft nicht gelöst, die klassizistische Eleganz des Säulenganges und das bauliche Durcheinander, auf das man blickte, wenn man ihn durchschritt, widersprachen einander. Ein hohes, ernstes Tor, wieder mit Fliegendraht bespannt, ließ sich nur mit Mühe öffnen.
    Jemand saß auf dem Fußboden, vollkommen unbeweglich, ganz in schwarze Tücher gehüllt, die auch über den Kopf gezogen waren. Der Kopf ragte über die eng an den Körper gezogenen Knie nach Art jener ägyptischen Totenstatuen, die, zu kubischen Paketen geschnürt, die Erwartung der Auferstehung darstellen. Ich glaubte zunächst gar keinen Menschen, sondern einen übergroßen Vogel vor mir zu haben, wie ich sie auf den Bäumen hatte hocken sehen, den Kopf unter den Flügeln verborgen. Mein Schreck war groß. Einen Augenblick lang wagte ich keine Bewegung, darauf gefaßt, daß der Riesenraubvogel sich unversehens aufrichtete und auseinanderfaltete, seine Krallenfüße aus dem schwarzen Sack hervorstreckte und die Flügel ausbreitete. Statt dessen erschienen magere, beinahe kindliche braune Hände aus dem Stoff und schlugen den Schleier zurück. Durch die Bewegung wurde ein dichter Schwarm Fliegen aufgescheucht, die für mich unsichtbar in den schwarzen Falten gesessen hatten. Eine zahnlose Greisin sah mich aus stumpf-ängstlichem Kindergesicht an. Die Handbewegung, mit der sie ihr Gesicht entschleiert hatte, blieb ihr einziges Lebenszeichen. Die Fliegen sanken langsam zu ihr zurück, als seien sie in diesen Tüchern geschlüpft.
    Wir sprachen kein Wort. Wer immer diese Frau war, sie mochte glauben, daß sie jahrzehntelang geschlafen hatte und nun erwachte, während Abgesandte fremder Völker den verlassenen Palast durchstreiften. Die Geierfrau hütete den Durchgang zu einem kleinen rechteckigen Innenhof, der sehr schmal war, eigentlich nur ein Lichtschacht, aber mit prunkvoll gemeißelten Säulen reich verziert, voluminöse Schachfiguren aus Speckstein, massiv und gestaucht, die zwei aus dem gleichen Stein gemetzte, trockene Brunnenschalen umstanden. Ich kannte inzwischen den indischen Geschmack, weißem Marmor einen ranzig-speckigen Charakter zu verleihen. Daß der Streifen Himmelblau über dem Hof so schmal war, hatte gewiß seine Gründe. Auch in den Tagen der sengendsten Hitze würde die Sonne nur kurz senkrecht hier herunterfallen. In den übrigen Stunden war der Hof ein Schattenreich.
    Etwas Unterirdisches haftete ihm an. Er lag nah am Herzen des Palastes. Mehrere Türen öffneten sich auf ihn. Eine stand offen. Das Zimmer dahinter lag im Dunkeln. Ich erkannte üppig gefaltete Portieren und ein Tischchen in der Boulle-Manier des zweiten Kaiserreichs, dessen Einlegearbeit in Bronze und Silber matt glitzerte. Und zwischen

Weitere Kostenlose Bücher