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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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dieses unbequemsten aller Gefährte nichts beitrug. Der König auf seinem roten Samtkissen – »Was ist der Thron?« fragte Napoleon, »ein Fetzen roter Samt auf vier Holzpfosten« – wurde nicht weniger durchgeschüttelt als alle anderen Mitfahrenden, die nach längerer Fahrt regelrecht durchgeprügelt aus dem Jeep stiegen.
    Im Innern war der Monsun-Palast freundlicher, wenngleich überwiegend kahl. Das Haus sei eigentlich nie fertig geworden, erfuhr ich, für das Dach habe man sich schließlich mit Wellblech begnügt. Im Zweiten Weltkrieg hätten die Engländer ein Lazarett aus dem Bhavan gemacht. Es sei leider nicht auszuschließen, daß damals englische Soldaten, die ihre Verletzungen aus dem Dschungelkrieg mit Japan hier kurierten, im Haus gestorben seien. Das klang, bei den bedenklichen Blicken, die diesen Verdacht begleiteten, schlimmer, als wäre der Bhavan ein Truppenbordell gewesen. Nach dem Kriege habe sich der verstorbene Maharao lange geweigert, den Monsun-Palast wieder aufzusuchen. Die Reinigungszeremonien der Familienbrahmanen dauerten Wochen. Räucherungen und Besprengungen, Exorzismen und Weihungen vertrieben, so versicherte der Swami, auch noch die letzte Cockney-Seele, die in den wellblechgedeckten Sälen möglicherweise ausgehaucht worden war und nun ruhelos im Bhavan herumgeisterte.
    Die englischen Architekten, die hier in den entlegensten Regionen für die weniger wohlhabenden Fürsten bauten, hatten ihre Erfahrungen zunächst mit Kasernen, Missionsschulen, Postämtern und Bahnhöfen erworben. Wenn sie an festliche Architektur dachten, stand ihnen der Typus der baptistischen oder methodistischen Kirche vor Augen, und so wurden die Säle, die sie entwarfen, wenn sie nun schließlich auch einmal einen Palast bauen durften, Kirchensäle, nur daß statt eines neugotisch geschnitzten Harmoniums Sophas darin standen und statt des Kruzifixus die Hörner erlegter Antilopen und Gazellen unter den Spitzbögen hingen. Eines hatten sie verstanden: Es sollte alles recht groß werden, größer als in europäischen Landhäusern, wenn man die Megalomanie des Hauses Farnese ausnimmt, das für sich Zyklopenburgen errichten ließ. An Beistelltischchen, Lüstern, Kredenzen, Clubsesseln, Schirm- und Stockständern, Paravents, Barschränken, Kofferböcken, Poudreusen, Spiegeln in bronzierten Gipsrahmen, Kleiderschränken und marmornen Waschtischen konnte man ganze Güterzugladungen in einem solchen Haus unterbringen, tat es auch, kaufte die Jahresproduktion von Fabriken für Hotelmobiliar auf und behielt dennoch ein weitgehend leeres Haus, mit Korridoren, in denen man auf Wanderschaft gehen konnte. Der Plan des Palastes schien eigentlich einfach. Der Architekt hatte zwei große Kirchenschiffe auf Abstand parallel zueinander gestellt, die beide geteilt waren. So gewann man im Parterre vier Säle. Zwischen den Schiffen führte aus der Eingangshalle ein straßenbreiter Korridor zu einem großen Gartensaal, und um die Schiffe herum war eine ebenso breite Veranda mit vielen bunten Glastüren gelegt, die sich aber nicht alle ins Freie öffneten. Hier begann das Verwirrende. Ich konnte mir über den Grundriß des mächtigen Kastens keine klare Vorstellung verschaffen, denn da gab es Anbauten und Seitenflügel, die ich nie betreten sollte und die eine Vielzahl von Zimmern bergen mußten. Im großen Korridor zwischen den Parterresälen paradierten zwanzig Thronsessel. Man spürte die Absicht des Ebenisten, die europäische Idee des Thrones mit unbestimmt exotischer Pracht zu verbinden, und so waren diese Sessel nicht einfach mit barocken Ornamenten geschmückt; sie bestanden vielmehr ganz und gar aus Ornamenten, wie das Skelett eines Verwachsenen aus abenteuerlich geschweiften Schulterblättern, Beckenknochen und grausam verbogenen Schienbeinen gebildet ist. Die Vielzahl dieser Throne verlangte aber nach einer Versammlung von Königen. Ursprünglich hatte es nur einen einzigen von diesen Thronen im Hause gegeben, ein Geschenk von König Georg V. an den Erbauer dieses Monsun-Palastes, den erwähnten Maharao Saroop Singh, treuer Vasall der britischen Krone.
    Als sich die englische Herrschaft über Indien schon deutlich ihrem Ende entgegenneigte, war es zu einer Machtdemonstration gekommen, deren Glanz und Schönheit nach den Worten Purhotis alles Erträumte und Erdachte in den Schatten stellte. Der Triumphzug des Dionysos in Indien mit Elephanten, Tigern und Kamelen und dem Schreien der rasenden Männer und Frauen, die

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