Das Beben
Tischchen und Portiere ging eine Dame auf und ab, wie man in sorgenvollen Gedanken im Zimmer umhergeht. Sie trug einen Sari, war aber modern frisiert, das gealterte Gesicht war geschminkt. In diesem leeren Haus bewegte sie sich, als sei ihr verboten, das Zimmer zu verlassen.
Ich erschrak noch mehr als vor der Geier-Greisin. Mir war, als sei meine Gegenwart ein Sakrileg. Das Leben, das hier in tiefster Verborgenheit geführt wurde, sollte niemals Zeugen fürchten müssen, wenn man die Botschaft des Hauses verstand und respektierte. Ich hatte sie nicht verstanden. Nun wich ich zurück.
Auf Zehenspitzen tappte ich über die Marmorfliesen, meine Schritte klangen wie Regentropfen.
Unter weisen, reichen Leuten galt früher als Heilmittel gegen Liebesschmerzen das ruhelose Reisen, keine zweite Nacht im selben Bett zu verbringen. Das würde hier nun nicht mehr möglich sein. Ich würde, wenn ich hier arbeiten sollte, viele Nächte im selben Bett schlafen müssen. Und doch spürte ich bereits, daß die Reise mir guttat. Was ich in Sanchor sah und erlebte, vermochte mich manchmal sogar schon für Stunden vom Gedanken an Manon abzulenken. Die Empörung, die mich zunächst wie Flammenglut erfüllte, so daß ich meinte, selbst noch in den Händen das Schwellen meiner Blutgefäße zu spüren, derart körperlich war dieser Entrüstungsschmerz geworden, der vor allem in ruhigen Stunden seine Gewalt entfaltete, diese Empörung war nun einem sanften, aber nicht nachlassenden Herzweh gewichen; »Immerdar durch Tränen sehe ich der Sonne liebes Licht«, so sagte ich bisweilen seufzend vor mich hin. Aber dieser Tränenschleier lüftete sich. Das hoffnungslose Zerfließen aller äußeren Eindrücke in den schwarzen Säften der Melancholie gerann nun gelegentlich. Als ich das Alte Fort zum erstenmal betrat, war ich sogar froh darüber, allein und nicht in Manons Begleitung zu sein.
Manon hätte meine Aufmerksamkeit beeinträchtigt. In ihrer Gesellschaft hätte ich mich beständig gefragt, wie sie den König und seine Umgebung erlebe. Ich hätte versucht, in ihren Zügen zu lesen, anstatt diese neue Welt in mich aufzunehmen. Wenn ich dann wieder mir selbst überlassen war, kehrten die Gedanken ohnehin zu ihr zurück. Aber jetzt war schon kaum mehr Bitterkeit in ihnen. Hatte Manon mein Vertrauen wirklich getäuscht? Bestand ihre Verfehlung nicht vielmehr darin, meine Eitelkeit zu wenig geschont zu haben? Neuerdings beunruhigte mich die Vorstellung, Manon nicht gerecht geworden zu sein und sie in ihrer Unschuld verletzt zu haben. Ja, ich dachte an Unschuld, wenn ich über Manon grübelte, und so grotesk mir dieser Begriff im Zusammenhang mit ihr bisher auch vorgekommen wäre, so plausibel wurde er nun auf einmal. Ich sah ihre Augen vor mir, die durch die Glastür der Untergrundbahn versuchten, noch im Abfahren des Zuges eine unzerreißbare Verbindung mit den meinen zu erzwingen, ihre Miene der Verzweiflung, den Ausdruck der Fassungslosigkeit, ihre schönen Hände, die sich gegen die Scheiben preßten, als wolle sie ihnen anhaften und in den schwarzen Tunnel mitgerissen werden. Es war jetzt für mich außer jedem Zweifel, daß diesen ergreifenden Gesten ein aufrichtiges Gefühl entsprach. Manon war keine Schauspielerin und hatte es auch niemals sein müssen, weil man sie, wie sie war, ohne weiteres annahm. »Man«, das war ich, aber ich wollte es nach zwei Tagen in Sanchor schon für unmöglich halten, daß irgendwer sonst die Kälte aufbrachte, sie aus überlegenem Abstand zu betrachten. Mußte nicht jeder alles, was sie getan hatte, augenblicklich vergessen, sowie sie den Mund öffnete und sprach? Mir war, als sei es vor allem Manon, die unter den Verwirrungen und Verirrungen ihres Lebens am meisten leide. Hinter ihrem betörenden Lächeln, ihrer geheimnisvollen Harmonie und seelenvollen Anteilnahme, die sie mir beim Zuhören bewies, verbarg sie ein heftiges Temperament und eine schlimme Leidenschaftlichkeit, von der ich eine Kostprobe erhalten hatte, als sie damals mit dem Meister telephonierte und offensichtlich ihren Willen nicht bekam. War nicht sie es, die ihn verließ?
Als ich in mein Zimmer zurückgefunden hatte, näherte sich der alte Diener, der den Vormittag über unsichtbar gewesen war, und stellte ein Tablett mit einer hotelsilbernen Teekanne auf ein Tischchen. Mich nahm er kaum zur Kenntnis. Es war, als versorge er ein Tier. Ich dankte ihm und fragte nach »His Highness«, aber er zog nur die Schultern hoch, als wolle er
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