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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Last des roten Turbans zu schwach schien, an meinem Bett und blickte mich aus seinen gelben erloschenen Augen an. Wenn ich die Tür öffnete, quietschte sie, unter seiner Hand blieb sie stumm. Er streckte mir einen jener schon bekannten Zettel hin, diese kleinen Streifen aus Rechenpapier, als fürchte er, ich könne ihm beim Ergreifen des Zettels zu nahe kommen, womöglich gar seine Hand berühren.
    »His Highness bittet Sie, ihn heute Abend im Monsun-Palast zu treffen. Ihre Abfahrt ist in einer halben Stunde vorgesehen.«
    Daß diese Zeitangabe noch dreimal revidiert wurde, versteht sich inzwischen von selbst, wobei ich nie erfahren sollte, wer die Zettel auf der Schreibmaschine mit den hüpfenden Großbuchstaben getippt hatte. Wenn der König selbst diese Nachrichten schrieb, mußte er sich hier irgendwo aufhalten, aber ich bemerkte keine Anzeichen seiner Gegenwart, die ich freilich auch noch nicht hätte deuten können; ich lernte das aber schnell. Wo der König sich aufhielt, herrschte stets ein Kommen und Gehen, eine leichte Unruhe. Es gab immer jemanden, der zu seiner Begrüßung herbeigeeilt war, Diener und Fahrer, die darauf warteten, daß er aufbrach und seinen Wagen befahl, Telephone klingelten, Frauen in farbigen Schleiern sammelten sich in der Ferne, in deutlichem Abstand zu der Freitreppe, die der König hinauf- oder hinabsteigen würde, in jener unverwechselbaren Haltung, mit der sein straffer, sportlicher Körper solche Treppen bewältigte. Wenn er eine Treppe hinaufstieg, mußte ich stets an alte Wochenschauen denken, in denen Vizekönig Mountbatten oder Feldmarschall Montgomery mit souveräner Körperbeherrschung, mit steifem Rückgrat leicht nach vorn gelehnt, der Treppe zugeneigt, in der Art einer auf- und zuklappenden Schere die Treppen überwanden. Der König bewahrte Bewegungsabläufe, die mit ihm untergehen würden; auch die Erben des reinsten Blutes Europas und Asiens besaßen nicht mehr diese Durchformung des Körpers, diese Rhetorik der Bewegung, die einem geborenen Herrscher entsprach. Ich wies den Gedanken, der König verstecke sich vor mir, um mit diesen Zetteln, die er mir zustellen ließ, eine leistungsfähige Hofhaltung vorzuspielen, schließlich entschlossen zurück. Wer wußte schon, welche treue Schreiberseele, die niemand je zu Gesicht bekam, von Telephonanrufen gelenkt, den Willen des Monarchen für mich zu Papier brachte.
    Der Monsun-Palast war das am wenigsten schöne Schloß des Königs, lag aber in einem Hochtal, dessen schwarze Riesenfelsen, rund und blasig wie erkaltete Lava, eine bedrohliche Stimmung verbreiteten. In diese Felsen, wahrlich eine Vogel-Roch-Landschaft in ihrer mondhaften Steinigkeit, hatte der englische Architekt des Großvaters Seiner Hoheit, Maharao Saroop Singh, ein aus dunklen Ziegeln hochgemauertes britisches Waisenhaus gesetzt, so wollte es mir scheinen, als ich aus dem Ambassador stieg. Die farbig verglasten gotischen Fenster sahen aus, als verberge sich hinter ihnen die besonders trostlose Anstaltskapelle. Vor der Dachterrasse, die von unten nur zu ahnen war, waren vielfach durchbrochene Sandsteinschranken angebracht, um die Frauen des Hauses dort oben unsichtbar zu halten und ihnen zugleich zu erlauben, die Autos die Auffahrt hinaufkommen zu sehen. Die Dienerquartiere, langgestreckte, einfache Schuppen, waren eingestürzt, aber aus einem Schilderhaus trat, als wir uns rumpelnd über die ungepflasterte, von großen Baumwurzeln gekreuzte Auffahrt näherten, ein greisenhafter kleiner Soldat in dickwollener, olivfarbener Montur mit Barett und grüßte militärisch strammstehend, mit grimmiger Miene. Ich nannte ihn »den Sergeanten«. Er war einer der letzten Soldaten des zum Schluß nur noch zweihundert Mann starken königlichen Heeres, das seit Anbruch der Republik vor allem schmückenden Charakter gehabt hatte. Das Einholen und Setzen der Fahne, das Grüßen, das Aufmarschieren und Postenstehen waren zuletzt seine Aufgaben gewesen. Der zahnlose, dunkelbraun gegerbte Greis ersetzte nun das Heer. Man sah ihm an, wie er beim Exerzieren seinen Leuten Beine gemacht hatte, mit englischen Flüchen herumtobte, bis ihm die Stirnader dick hervortrat, und daß er seinem obersten Kriegsherrn in eiserner Treue ergeben war. Sein Ausharren hier im Schilderhäuschen kündigte an, daß der König in der Nähe war.
    Da stand jedenfalls der Jeep mit dem roten Samtkissen auf dem Sitz neben dem Fahrer, dem aufs Asketische reduzierten Hoheitszeichen, das zur Bequemlichkeit

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