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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Betrachtern einen befriedigenden Eindruck von der königlichen Person zu vermitteln. Die Eitelkeit ersetzte den wachsamen Hofmarschall oder Kammerherrn, der verhinderte, daß Bilder von einem kauenden, sich die Nase putzenden oder unwillkürlich grimassierenden König entstanden.
    Gopalakrishnan Singh hingegen lag mit seiner Eitelkeit im Krieg. Er durchkreuzte jeden ihrer Versuche, ihn so vorteilhaft zur Geltung zu bringen, wie seine angenehme, sinnliche Erscheinung es durchaus erlaubt hätte. Wie ein im Versteck aufgestöberter Dieb starrte er der Kamera panisch entgegen, häufig huschte er mit geschlossenen Augen durch das verwackelte Bild, er hatte in der Sekunde der Aufnahme eine überraschende, wirre Bewegung gemacht. Der ernste und vorbehaltlose Blick, mit dem er die Repräsentationsakte seines Bruders verfolgte, wenn der ihn zu seiner Begleitung befohlen hatte, sagte: »Hoheit – gewiß, das gibt es, ich will es nicht bestreiten, aber ich besitze davon so wenig wie Sie oder sonstwer – ohne damit über meinen Bruder das geringste ausgesagt zu haben.«
    Wir saßen uns in Korbstühlen gegenüber, die leise ächzten und so ausgetrocknet waren, daß sie an den Lehnen zersprangen.
    »Sie planen ein Hotel für Sanchor –«, sagte der Prinz, tastend, als wisse er selbst nicht genau, was da entstehen solle, und als sei am Ende ich es, der mit dem Vorschlag, hier ein Hotel zu bauen, angereist sei, und nun die skeptischen Gemüter zu gewinnen habe. Alle indischen Fürsten, die reichen wie die armen, dächten heutzutage daran, aus ihren Palästen Hotels zu machen. Da stünden diese riesenhaften Bauten, dazu bestimmt, Hunderte von Dienern und Frauen und Wächtern aufzunehmen, und seien dem allmählichen Verfall geweiht. Er, Gopalakrishnan Singh, habe dazu zwei Ansichten – aber er wolle mich nicht belehren, es handele sich um seine persönliche, unmaßgebliche Meinung, und diese höfliche Einschränkung vertrat er mit Eindringlichkeit, sein friedlich zerstreuter Blick wurde geradezu starr bei der Vorstellung, ich könne mich belehrt fühlen, ich mußte jeden Verdacht, ich könne mich von ihm ungebührlich beeinflußt fühlen, zurückweisen, das wurde übrigens ein die gesamte Unterhaltung begleitendes Ritual, bei jedem zweiten Satz glaubte er abwiegeln und mir meine Freiheit zusichern zu müssen, mich zu seinen Worten zu stellen, wie ich wolle. War das ein Überbleibsel englischer Erziehung? Wollte er den herrscherlichen Anspruch, über die Meinungen der anderen zu verfügen, deutlich von sich weisen?
    »Die erste Frage ist: Wo liegt das Hotel? Die zweite Frage: Wer führt das Hotel?« Es gebe herrliche Häuser, groß und schön gebaut, jedoch in Landesteilen liegend, die schwer erreichbar seien und wenig Attraktionen böten. Prinz Gopalakrishnan Singh dachte, wenn er »Land« sagte, an Indien, der König dachte an Sanchor. Der König hatte sich noch nie gefragt, ob Sanchor im indischen Subkontinent »günstig« liege, obwohl das Reich auch nach den alten Maßstäben brahmanischer Staatskunst nicht viele Vorteile aufwies. Ein glückliches Königreich hatte danach von großen Flüssen durchströmt zu sein und über üppige Felder und Wälder, über Berge und Festungen und über viele heilige Orte zu verfügen. Nun, heilige Orte besaß Sanchor im Überfluß, aber seine Festungen, vor allem das hoch gebaute Achalghar, lagen seit Jahrhunderten in Trümmern, seine Wälder waren abgeholzt, von Flüssen gab es keine Spur, von üppig grünem Ackerland erst recht nicht; ich fragte mich, wovon die Leute in diesem ausgetrockneten, wenig bevölkerten Land überhaupt lebten. Auch dem Staubtrockenen scheint freilich noch etwas abzugewinnen zu sein. Der König nahm die Staatsbeschreibungen im brahmanischen Schrifttum nicht wörtlich, behauptete aber, daß Sanchor durchaus einen bedeutenden Strom besitze. Er zeigte ihn mir mit dem schönen rundgefeilten Fingernagel auf einer alten englischen Landkarte; schon damals sei der Fluß ausgetrocknet gewesen, aber im klassisch geologisch-geographischen Sinn sei der Samavara eben dennoch ein ganz regulärer und sogar recht stattlicher Fluß, ein alter Fluß jedenfalls, vielleicht einer der ältesten. Mister Jenkins habe in seinem Bett Gesteinsproben gesammelt und mit einem Hämmerchen zerschlagen. Das sei Urgestein gewesen, sagte der König mit in sich gekehrtem Hochmut.
    Der Prinz aber schreckte vor radikalen Fragen, auch wenn sie schmerzten, nicht zurück. »Wer kommt nach Sanchor, um

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