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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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sei.
    »Wenn du sie nicht verbesserst, liebst du sie nicht.« Das war die Überzeugung von Anna Pfeiff, die stets verstimmt war, wenn Manon im Büro auftrat und sofort das Telephon für sich beanspruchte. Die beiden Frauen mochten sich nicht, ohne Grund, wie ich fand. Manon hörte, wie vertraut ich mit Anna umging, bis hin zum Du eben, und kehrte deshalb mit Fleiß die Chefin heraus, die Anweisungen gab. Immer mußten Flugtickets bestellt, abbestellt oder umbestellt werden, und wenn das nicht gleich gelang, hob Manon gereizt die Augenbrauen. Frauen können sich ihre wechselseitige Verachtung ohne großen Aufwand deutlich machen, bevor der dumme Mann etwas mitbekommen hat. Als ich Anna erklärte, daß ich bei Manons Verdrehungen und Verwechslungen aus dem Korrigieren gar nicht herauskäme und die Attitüde des Lehrers nicht besonders anziehend fände, lachte sie spöttisch. Ich fühlte, daß sie mich bedauerte.
    Aus großer Nähe hörte ich eine helle Vogelstimme an meinem Ohr. Mein Bett war so hoch, daß die Beine baumelten, wenn ich auf dem Rand saß. Ich fühlte mich in diesem Bett wie auf einem Katafalk. Es war so schwer wie ein Konzertflügel, von kolonialer Solidität, wie in Ländern üblich, in denen die Kosten des Materials keine Rolle spielen. Mit dem Kopf in den Kissen befand ich mich schon beinahe auf der Höhe des Kopfes von Virah, der mit dem Teetablett vor mir stand. Durch die bunten Fenster drang der den Monsun-Palast beständig umrauschende ferne Lärm von den Hütten und Häusern zu seinen Füßen. Sowie es hell wurde, war es, als habe sich dort unten ein unabsehbares Heer von Staren niedergelassen, die aus Leibeskräften schrieen und zwitscherten, sich hin und wieder in Wolken von der Erde erhoben, dann schwoll dieser Chor an, und sich zurücksinken ließen, dann schwoll der Chor wieder ab. Schwarz und schweigend lagen die viktorianischen Bruchsteinmauern über diesem leidenschaftlichen Lebenschor.
    Der Wassermangel war hier auf der Hochebene womöglich noch bedrohlicher als unten im Neuen Palast. Virah brachte in mein Badezimmer einen Messingeimer mit trübem Wasser aus einem beinahe erschöpften Stausee, der noch von dem englischen Gouverneur Sir Arthur Lothian zum eigenen Ruhm und zur Versorgung der englischen Garnison geschaffen worden war. Ich fürchtete, das Wasser werde dicker, wie es da so vor sich hin verdunstete, aber das stimmte nicht, feinflüssig, allerdings leicht faulig nach Algen riechend, perlte es an mir herab, als ich mich damit übergoß. Hatte Seine Hoheit, wie ich nach der Begegnung mit Prinz Gopalakrishnan Singh schon ganz selbstverständlich selber sagte, bedacht, mit welchen Wassermengen ein luxuriöses Hotel betrieben wurde? Wenn aus allen Marmorschalen Fontänen sprangen, wenn in den kleinen Kanälen, die einen Mogulgarten durchzogen, kristallklare Bäche rannen, Wasserfälle über Marmorbahnen in der Hitze Erfrischung boten, wenn die Schwimmbecken mit reinem Wasser gefüllt sein sollten, von der Wäsche der Leintücher und der blütenweißen Kellnerjacken ganz abgesehen, würde man in dieser Ecke der radjastanischen Wüste auf ganz neuartige Bewässerungssysteme sinnen müssen. Größere Könige als Seine Hoheit – ein Vergleich, den ich vor ihm nie ausgesprochen hätte – hatten ihre Haupt- und Residenzstadt aufgeben müssen, weil sie ohne Wasser war.
    Ich befand mich dennoch in bester Verfassung, frisch und gebadet und auf die Audienz eingestimmt. Als Virah mich abholte, war seine Miene verändert. Nicht mehr das possierliche Springböckchen, das mit scheuem Lächeln um Sympathie warb, stand in der Tür, sondern der verschlossene Paladin. Es galt etwas Ernstes. Ich war zu Seiner Hoheit befohlen. Er zappelte geradezu, als er mich noch nicht völlig bereit fand. Das hieß nicht einem königlichen Ruf folgen, wenn da noch umständlich erst Schuhe zugeschnürt werden mußten.
    In der Halle herrschte Leben. Das Haus, das gestern in tiefer Verlassenheit schlief, war jetzt vielfältig bevölkert. Draußen unter dem Portikus stand der Jeep, die rote Hülse der kleinen Fahnenstange auf seinem Kühler war abgenommen, und das steife Fähnchen aus Brokat, von einer durchsichtigen Plastikhülle geschützt, war aufgepflanzt. Virah bezog, kaum daß wir die Halle betreten hatten, Standort neben einer hohen gläsernen Flügeltür, auf deren anderer Seite bereits ein Diener, gleichfalls in Khaki und mit rotem Barett und barfuß, Spalier stand. Auf dem Boden neben einer weiteren

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