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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Glastür saßen drei alte Frauen mit sehr dunklen, runzligen Gesichtern, die helltürkise Saris trugen, und bei meinem Anblick stumm die Hände falteten, wie ein glückverheißender Götterbote wurde ich begrüßt. Ein Jüngling in Khaki durchquerte die Halle mit einem Teetablett. Ein kleinwüchsiger Brahmane mit weißem Schal und roten Zeremonialhosen, dem aus einem Tuch um die Beine und Hüften gewickelten Dhoti, trat auf, ein überaus dünner großer Khakiträger mit messerscharfem Profil geleitete ihn in ein seitlich gelegenes Zimmer. In der Ferne klingelte unablässig das Telephon. Ein grauhaariger, gesetzter würdiger Mann überbrachte die Botschaften von dort in das Zimmer, in dem der Brahmane verschwunden war, und kehrte mit der Antwort zurück, in ununterbrochenem Hin und Her. Prinz Gopalakrishnan Singh trat auf, von einem wärmenden Schal umhüllt, trotz der hellen Sonnenheiterkeit draußen. Es ging eine Bewegung ehrfurchtsvollen Grüßens durch die Versammelten, die auch den Prinzen ergriff. Dies war das stets aufs neue Überraschende: Während der Namaste-Verneigung mit den gefalteten Händen ließ jedermann sein Gesicht gleichsam aufleuchten vor überirdischem Entzücken, um sofort danach wieder in Teilnahmslosigkeit, womöglich Muffigkeit abzusinken. Virah freilich war nie stumpf, sondern stets bebend vor Anteilnahme.
    »Mein Bruder ist noch beim Morgengebet«, sagte der Prinz mit Bedeutung und Nachdruck. Die internatsschülerhafte Lässigkeit war von ihm abgefallen. Er sah mit mir und allen anderen dem Aufgehen der Königssonne entgegen. Später werde seine Frau mich begrüßen, fügte er hinzu, denn es herrsche in Sanchor das Gesetz, daß die Schwägerin des Königs ihrem Schwager niemals von Angesicht zu Angesicht begegnen dürfe, komme es unseligerweise doch einmal zu einer Begegnung, müsse sich die Prinzessin sofort verschleiern und nach eiligem Hofknicks augenblicklich entfliehen.
    »Warum?«, fragte ich voll Torheit und bereute meine Frage sofort.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Gopalakrishnan Singh, zum erstenmal bemerkte ich auch in seinem Gesicht Anzeichen von Hochmut. Die Bewegung im Raum, das geschäftige Warten und Bereitsein aller hörte nicht auf. Die Spannung steigerte sich. Der Brahmane verließ das Zimmer, in das nun eine Schüssel mit heißem Wasser getragen wurde. Leise klingelte das Telephon, verloren in den weiten Hallen. Durch die geöffnete Flügeltür und zwischen den Dienern hindurch schritt langsam mit erhobenem Schwanz eine schlanke kleine Katze, die einen weiten Bogen um jeden Menschen machte, aber ohne Scheu in die soeben von einem Diener geöffnete Tür hineinlief, hinter der ich den König vermutete.
    Es dauerte noch lange, bis der König mich hereinbefahl. Die europäische Redensart von der Pünktlichkeit als der Höflichkeit der Könige war hier unbekannt. An Höflichkeit und gar an überraschender Liebenswürdigkeit fehlte es meinem König wahrlich nicht, wenn ihm unvermittelt der Einfall kam, sich gnädig zeigen zu sollen. Hier schien es für den Gedanken der Monarchie aber wichtiger, die Sphäre um den König herum als eine unter anderem Gesetz stehende Welt sichtbar zu machen, in der ganz wörtlich auch die Uhren anders gingen. Im Bienenwabenpalast des Alten Forts drang man einst durch Schleusenkammern zur Majestät vor. Das Herz des Reiches war von der Alltagswelt geschieden. Dies Königtum wollte dem Staat eben keine »ersten Diener« schenken, sondern Heiligtum sein, in dem das Königsidol aufbewahrt wurde. Und es gab wahrscheinlich, ob im modernen Indien oder überhaupt in der ganzen Weltgeschichte, wenige Könige, die diese Auffassung des Königtums so genau begriffen und so folgerichtig verwirklichten, wie der gegenwärtig glücklich regierende König von Sanchor es tat.
    Ich sah erst allmählich, welcher Anstrengung und Konsequenz es bedurfte, in jeden bescheidenen Lebensablauf Sand zu werfen, so daß er zu knirschen und zu stocken begann. Während ich auf den König wartete, begriff ich, daß bei der Annäherung an ihn das triviale Tagestreiben erst einmal zum Stillstand gelangen mußte, damit man die ganz anders geartete Aktivität und Geschäftigkeit in der königlichen Kammer überhaupt wahrnahm. Auf und ab wogte es hier in der Antichambre. Das zur Verfügung stehende Personal war gar nicht so klein, es traten gelegentlich sogar neue Leute hinzu, die gleichfalls zu warten hatten oder sofort vorgelassen wurden.
    Ich war schon zufrieden, bis hierher

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