Das Beben
einem Kunsttischler in Sanchor befahl, den Thron neunzehnmal zu kopieren. Gefiel ihm das fremdartige Möbel wirklich so gut, oder enthielt dieser Einfall eine subtile Rache an dem Riesenkarneval des Durbar? »Was ihr als Thron bezeichnet, ist in Sanchor gerade gut genug als Eßzimmerstuhl« – war es das, was der königliche Großvater ausdrücken wollte? Im großen Korridor, im Halbdunkel des durch die bunten Scheiben gebrochenen Lichtes wirkten die vervielfältigten Throne auf mich, als stünden sie in einer unterirdischen Grabanlage und seien bestimmt, die nächsten zwanzig Könige des Hauses von Sanchor einbalsamiert aufzunehmen für ein Thronen in Ewigkeit, denn auch in der Gruft ist die Multiplizität der Majestät etwas natürliches. Hier war man von solchen Grabesbräuchen freilich weit entfernt. Ein König von Sanchor wurde zu ein wenig blauem Rauch, wenn er gestorben war, nur ein kleiner Marmorbaldachin auf dünnen Säulchen am Rande des Familientempels bezeichnete später den Ort des mit Sandelholz und Weihrauch, Honig, Butterfett und Öl gewürzten und getränkten Scheiterhaufens. Ein steinerner Baldachin, der nichts beschirmte, das war ein würdiges Denkmal für einen entschwundenen König.
Im Monsun-Palast wohnte der Bruder des Königs mit seiner Frau, die sich zu meinem Empfang freilich nicht sehen ließ. Ich kam schließlich nicht als Gast, sondern als herbeizitierter Geschäftsmann. Das Quartier, das mir angewiesen wurde, entsprach den Riesenausmaßen des Hauses. Eine enge Wendeltreppe führte in den ersten Stock, der einstmals den Frauen vorbehalten war. Das hatte mich verblüfft, der ich doch reichlich Erfahrung mit großen alten Häusern habe. Es fehlte ein repräsentatives Treppenhaus, wie es in Europa unfehlbar den Mittelpunkt eines solchen Gebäudes gebildet hätte. Wie im Mittelalter schraubte man sich das Schneckengewinde empor, obwohl das Haus kaum hundert Jahre alt war. Ein einziger Mann mit einem Messer hätte die Erstürmung des oberen Stockwerks aufgehalten. Das war das einzige Andenken früherer Zeiten, das der moderne Architekt hatte übernehmen müssen. Die oberen Galerien hatte er mit laubgesägten Marmorbaldachinen umgeben, die gegen das rostige Wellblechdach hart und weiß abstachen. Die Wände der Korridore waren mit einem feinen blaßgrünen Netz aus Pilz und Schwamm überzogen, das auch das Mauerwerk der Galerie wie eine brüchige, verblaßte Seide bedeckte. Das Dach war löchrig, in den Monsunwochen rann es die Wände herab wie in einer Grotte. Aber das Licht war schön und mild, und ich sagte mir, daß sich hier gut ein großer Tisch aufstellen ließe, um zu zeichnen und zu arbeiten.
Ein kleiner Mann brachte meine Taschen. Er trug einen Khakianzug und ein weinrotes militärisches Barett, seine Füße waren nackt, wie es sich in dieser Welt für einen Diener gehörte, sowie er dem Herrn gegenübertrat. Zunächst hielt ich ihn für sehr jung, so knabenhaft war seine Gestalt. Wenn er ging, senkte er den Kopf wie ein junger Ziegenbock, der mit den Hörnern und seiner harten Stirn angreift, es war nichts Devotes in diesem Kopfsenken. Aber dann sah ich die tiefen Falten in seinem Gesicht, die von den Wangenknochen zum Mund herunterliefen. Mein erster Eindruck traf dennoch zu. Virah war jung, noch keine dreißig Jahre, aber vom Leben gezeichnet. Seine Herrschaft war nicht immer glücklich mit ihm, denn er sei ein Abenteurer und habe oft genug ohne Ankündigung den Dienst verlassen. Wie der schmutzige Greis im Neuen Palast gehörte er zum Volk der Devasi, dessen Männer durch außerordentlich schmale Schultern und Becken auffielen und von einer feingliedrigen Zierlichkeit waren, gegen die ich mir grob und plump vorkam, schwer geworden von zuviel dummem Essen und einer naturwidrigen Bequemlichkeit.
»Lobe den Herren, der künstlich und fein dich bereitet«, hieß es im Kirchenlied, und auf die Devasi traf das zu, sie waren im Gegensatz zu mir und meinem Volk tatsächlich künstlich und fein bereitet, näher an dem Zustand, so kam mir vor, der dem Menschen ursprünglich zugedacht worden war, bevor er daran ging, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Die Devasi waren Nomaden. Länger an einem Ort zu bleiben war für sie ein unerträglicher Zwang. Vielleicht hatte der König dies Umherschweifen, das sein ganzes Leben ausfüllte, von seinen letzten Getreuen übernommen. Nachdem Sanchor die ganze historische Entwicklung eines Reiches von ungenau definierten Anfängen bis zu
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