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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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länger als im glücklichsten Fall eine einzige Nacht zu bleiben?«
    Wie er da zu groß und zu schwer für den zerbrechlichen Sessel seine Beine ausstreckte und mich rücksichtslos prüfend ansah, war nicht ausgeschlossen, daß er bei aller Liebe zur angestammten Heimat eines Tages plötzlich aufstand und nach Australien auswanderte. Vielleicht war es dafür jetzt etwas spät, aber geistig war er dazu immer noch imstande. Zu etwas anderem freilich nicht: »Ich sehe mich nicht in der Lage, das Hotel zu führen«, sagte er in der rückhaltlosen Offenheit, die ihm eigen war. »Ein Hotel führen, das ist nicht leicht. Es gibt tausend Dinge zu bedenken. Seine Hoheit hat die Einstellung, vor allem anordnen zu sollen, und er vertraut darauf, daß das Befohlene auch geschieht. Aber das tut es gar nicht. Es gibt Leute um ihn herum, all diese Brahmanen, die von uns leben, die ihn in dieser Haltung bestärken, obwohl sie selbst am allerwenigsten bereit sind, für die Ausführung eines Befehls zu sorgen.«
    Die Krönung Seiner Hoheit liege noch nicht lange zurück. Der Vater war alt geworden, zum Schluß nur noch ein Schatten. In den Jahrzehnten als Kronprinz seien unzählige Pläne in Seiner Hoheit gereift, die er auszuführen gedachte, wenn er endlich den Thron bestieg. Vieles war in den Jahren der Krankheit des verstorbenen Königs liegengeblieben. Jetzt gebe es, nach seiner, Gopalakrishnans, Befürchtung, zu viele Pläne.
    »Unser großer Familientempel Achaleshwar soll vollständig auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt werden, obwohl die Priesterschaft opponiert. Die Gottheiten schätzen keine Unruhe. Die alten Marmorplatten sollen entfernt und durch glänzenden weißen Marmor ersetzt werden. Das Bassin vor dem Tempel soll mit einer prachtvollen Treppenanlage ausgestattet werden, Ghats, die im Zickzack in die Tiefe führen, alles aus weißem Marmor, ein Riesenbauwerk. Daran wird seit drei Jahren geplant. Und jetzt das Hotel.«
    Was wollte er mir sagen? Daß das Hotel ebensowenig gebaut werden würde wie der Tempeltank? Daß der König sich übernehme? Wollte er mich davor warnen, mich zu sehr auf die Arbeit einzulassen?
    »Ich hoffe, Sie werden sich wohlfühlen«, fuhr er fort und zeigte durch seine Bewegung im Sessel, daß er noch immer nicht bequem saß, »man kann hier im Grunde nichts unternehmen. Früher hatten wir Pferde, Poloponys, es gab auch die Tigerjagd. Ich halte es nicht lange hier aus. Ich habe eine kleine Wohnung in Bombay. Gehen Sie nie ohne Stock spazieren. Es gibt immer etwas, wofür man einen Stock braucht, eine Schlange, ein Panther, ein tollwütiger Hund.« Er machte eine Miene, als entrüste ihn die Laune der Natur, so viele Belästigungen hervorgebracht zu haben. Er hatte mit diesen Verhältnissen abgeschlossen, ohne freilich zu wissen, was anders anzufangen sei. Aus dem Stuhl herauszukommen war eine Arbeit für sich. Ich merkte Prinz Gopalakrishnan Singh an, daß er am liebsten nach Art des Filmschnitts einfach plötzlich aus dem Zimmer verschwunden wäre. Statt dessen mußte er sich verabschieden und den weiten Weg zur Flügeltür zurücklegen. Die tat sich aber gleichsam von selbst vor ihm auf. Virah hatte hinter den bunten Glasscheiben gewartet.
    Ich schlief tief in dieser Nacht, aber es war mir morgens, als hätte ich sie in einem vielstündigen Gespräch mit Manon verbracht. Wie ein schöner Mond strahlte ihr Gesicht in meine Dunkelheit, und ihre Lippen bewegten sich ohne Unterlaß, sehr ernste Worte, Vorwürfe, Erklärungen kamen aus ihnen hervor, die ich gespannt aufnahm, weil ich aus allem ihre unverwechselbare Stimme übermäßig lebendig und deutlich heraushörte.
    »So ist das nämlich immer bei dir«, sagte Manon voll Trauer, »obwohl alles ganz anders gewesen ist, aber mußt du immer alles traumatisieren. Du hast mich völlig abstrahiert, ich bin seitdem ein einziges hängendes Schwert.« Was mich so traf, war der für sie bezeichnende Umgang mit den Fremdwörtern, auch in wachem Zustand wußte ich nie, ob sie, was mir zunächst einfach nur falsch erschien, nicht vielleicht doch in einem ausgefuchst seltenen Sinn gebrauchte, der mir bisher unbekannt war. Im Wachen gelang es mir allerdings meistens, ihre Reden zu enträtseln, es verbarg sich Schlichtes hinter den geschraubtesten Formulierungen. Manchmal hielt ich auch für möglich, daß sie einen Spaß machte, wenn sie etwa statt Bredouille Petrouille sagte, als sei es speziell Mozarts Pedrillo, dem das Petroleum ausgegangen

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