Das Beben
hegte, für dessen Kampf gegen die Dämonen, in dem alle Prinzipien indischer Ritterlichkeit und Tapferkeit gegründet waren, und für die rührende Treue, die Rama seinem ebenbürtigen Weib Sita entgegenbrachte. Rama und Sita, das königliche Paar schlechthin, in Schönheit, Noblesse und göttlicher Heiterkeit unerreichbar und doch ein forderndes, anspruchsvolles Vorbild. Der König trug heute eine alte Anzugjacke, die an den Ärmeln glänzte, aber von einem guten englischen Schneider stammte und seine eigentümliche Figur hervorhob, die schmalen, hängenden Schultern, die gertenschlanke Taille und das im Vergleich dazu etwas breitere Becken. Die Hose gehörte zu einem anderen Anzug, das Hemd trug er am Hals offen, den Kragen als Schillerkragen breit über die Anzugrevers ausgelegt. Seine ausdrucksvollen Hände ruhten auf den Oberschenkeln. In der gelassenen Entspannung, in der er jetzt verharrte, schrumpfte sein edles Gesicht etwas zusammen. Mir war, als habe er keine Vorderzähne mehr, so sehr war die untere Partie des Gesichtes trotz des gepflegten Rajputen-Schnurrbartes zusammengesunken. Die Katze strich um seine Beine. Er beachtete sie nicht, und auch für sie war er ein Möbel geworden. Es wurde zehn nach zwölf.
Prinz Gopalakrishnan Singh war bei dem langen Schweigen sichtbar unwohl. Er war seinem Bruder bedingungslos ergeben, aber er konnte geistig eben auch aus dessen Welt heraustreten. Er musterte mich unsicher. Wie würde ich diesen Empfang finden? Schon in Bombay kannte er wenige, die um Ramas Geburt willen mit einem ausländischen Gast zwanzig Minuten lang geschwiegen hätten. Daß sein Bruder alles richtig machte, wenn er dabei oft auch sehr weit ging, galt ihm als Axiom. Aber da gab es nun diese andere blitzende, funkelnde, reiche Welt, die durch ihren Glanz und ihre Macht ganz offenbar auch irgendwie im Recht war und für solche Gebräuche nachweislich überhaupt nichts übrig hatte. Er fieberte dem Augenblick entgegen, in dem wieder Konversation gemacht werden durfte, und faßte den Entschluß, durch einen starken Effekt den Eindruck des langen Schweigens bei mir zu verwischen, auch wenn er damit die Regel brach, den König die Unterhaltung eröffnen zu lassen.
»In Gujarat hat die Erde gebebt, in Ahmedabad sind viele Häuser eingestürzt«, sagte er, sowie der Blick auf den Uhrzeiger ihm das Siegel von den Lippen nahm. Der König tat, als bemerke er die Regelverletzung nicht, wie übrigens in solchen Fällen, in meiner Gegenwart jedenfalls, immer. Ich nehme an, daß er auf das Vermögen seiner königlichen Natur baute, Disharmonien und Ordnungsverstöße durch ihr bloßes wirkendes Dasein wieder zur Regel zurückzuführen. Jetzt lächelte er befriedigt.
»Ich bin davon überzeugt, daß alle diese Erdbeben, wie sie in jüngster Zeit immer häufiger auftreten, eine einzige Ursache haben: die Demokratie. Man schaffe die Demokratie ab und gebe die Herrschaft wieder in die Hände derer, die zu ihrer Ausübung geboren wurden, und die Erde wird sich allmählich beruhigen.«
Er sah mich erwartungsvoll an. Was er gesagt hatte, entsprach seiner selbstverständlichen Überzeugung, aber er war sich doch bewußt, daß er damit auf einen Mann wie mich herausfordernd wirken mochte. Als hätte ich nicht von Purhoti her schon wissen können, daß Bestätigungen aus der Welt des Westens hier durchaus nicht mit Neugier aufgenommen wurden, beeilte ich mich, dem König zu versichern, einer der großen Männer Deutschlands habe diesen Zusammenhang ganz genauso gesehen.
»Wer?« fragte der König.
»Sein Name ist Goethe. Er war Wesir eines mächtigen Herrschers und Philosoph, und er war der Überzeugung, daß Revolutionen und Umstürze und Vulkanausbrüche und Erdbeben in einer Art engem und grundsätzlichem Zusammenhang stünden ...«
»Und wie sah dieser Philosoph, dieser Wesir – den Namen werde ich mir nicht merken, ich belaste mich niemals mit Überflüssigem – wie sah er Revolutionen und Umstürze und dergleichen mehr?«
»Er verabscheute sie«, sagte ich mit der Festigkeit dessen, der die Wahrheit sagt.
»Dann ist dieser philosophierende Wesir offenbar ein kluger Mann gewesen. Nun, Einsicht vermag überall zu wachsen, ist freilich selten.«
Der König befahl, Tee für mich zu bringen. Er werde beim Wasser bleiben, für ihn sei heute ein Fasttag, dabei kein Montag, wie ich mit Blick auf Prinz Gopalakrishnan Singh dachte, entweder hielt der König andere oder mehr Fasttage ein als sein Bruder. Und
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