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Das befreite Wort

Das befreite Wort

Titel: Das befreite Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Sprong
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müssen auch beide Seiten befragt werden, wenn es um die Rekonstruktion (der Wirkung) geht.« 48
› Hinweis
    Genau dieser Zusammenhang – und nicht eine dämonisch-geniale Manipulationsgabe – lag auch dem situativen 49
› Hinweis
Erfolg der Goebbels’schen Sportpalastrede zugrunde, und ebenso allen anderen »großen Reden« der Weltgeschichte: von der Gefallenenrede des Perikles bis zur fiktiven Rede des Marc Anton bei Shakespeare; von Thomas Münzers »Hoch verursachter Schutzrede und antwort wider das Gaistloße Sanfftlebende fleysch zu Wittenberg« bis zur Ansprache Friedrichs des Großen vor der Schlacht bei Leuthen; von Martin Luther Kings »I have a dream« über Kennedys »Ich bin ein Berliner« bis zum »Yes we can« von Barack Obama.
    Alle genannten Reden finden Sie als Text und/oder Video- bzw. Audiobeitrag im Blog zum Buch unter:
http://www.nicolai-verlag.de/das-befreite-wort-blog
    Sie alle sind als Redner erfolgreich nicht wegen der rhetorischen Figuren, die sie verwenden, nicht wegen der Gestik, die sie einsetzen oder unterlassen, nicht wegen ihrer Atemtechnik, des freien Vortrags oder der Manuskriptform, schon gar nicht wegen der technischen Ausstattung der Bühnen, auf denen sie stehen. All das hilft oder hindert – je nachdem. Was aber ihren Erfolg im Kern ausmacht, das ist ein genaues Gespür (bei den Rednern und ihren Redenschreibern!) für die Bedürfnisse und Wünsche, die Sehnsüchte, Erwartungen und Überzeugungen ihres Publikums. Ihnen gilt ihre Rede, ihnen gibt sie Ausdruck und Gestalt. Sie sind es, deren die Menschen mit Hilfe der Rede ansichtig werden, und sie sind es, die das Feld des jeweils Möglichen abstecken, die gemeinsame Zukunft, zu der jene Redner ihr Publikum in ihrer Vision führen.
    Und dies gilt eben auch für jene Reden und jene Redner der Vergangenheit, die ihrem Publikum eine Zukunft ausmalten, die wir heute (und manche taten es schon damals) für moralisch verwerflich halten. »Er [Hitler] gab ihnen [großen Teilen des deutschen Volkes], was sie ersehnten […]«, betonte schon Joachim C. Fest 1977 in der Verfilmung seiner psychologisch klugen Hitler-Biografie.
    Ausschnitte des Films im Blog zum Buch unter:
http://www.nicolai-verlag.de/das-befreite-wort-blog/?p=216
    Fraglich bleibt dabei freilich, mit welcher inneren emotionalen Haltung und mit welcher Intention diese Ausrichtung an den Bedürfnissen und Begehrlichkeiten des Publikums etwa im Falle Hitlers erfolgte und welche Bedeutung die Art dieser inneren Haltung grundsätzlich für den Redeerfolg hat: Ist es unerheblich, ob der Redner seinem Publikum mit einem Gefühl von Respekt und Achtung oder ob er ihm ganz im Gegenteil mit Ver-Achtung gegenübertritt?
    Hitler selbst, der sein rhetorisches Handeln durchaus reflektierte und auch die meisten seiner Reden selbst verfasste, scheint sich in seiner 1925/26 erstmals erschienenen Schrift Mein Kampf als Verächter der Massen zu erweisen:
    »Die breite Masse eines Volkes besteht weder aus Professoren noch aus Diplomaten. Das geringe abstrakte Wissen, das sie besitzt, weist ihre Empfindungen mehr in die Welt des Gefühls. Dort ruht ihre entweder positive oder negative Einstellung. Sie ist nur empfänglich für eine Kraftäußerung in einer dieser beiden Richtungen und niemals für eine zwischen beiden schwebende Halbheit.« 50
› Hinweis
    Die meisten Rhetorik-Fachleute heute, zum Beispiel die Schweizerin Michèle Binswanger, bewerten Äußerungen wie diese als Indiz für eine »verächtliche Haltung«, wie sie auch heute noch vielfach dort anzutreffen sei, wo es um einen manipulativen Einsatz der Rhetorik etwa in der Werbung gehe: »Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Hitlers rhetorische Rezepte ungebrochen wirksam sind. Einen Feind definieren, die Sachlage vereinfachen, polarisieren, Slogans wiederholen, lügen im großen Stil – das sind Rezepte, die man heute im politischen Alltag ebenso beobachtet wie in der Werbung«, schreibt Binswanger. 51
› Hinweis
    So sehr diese Beobachtungen einerseits zutreffen mögen, so stellt sich andererseits doch die entscheidende Frage: Könnte diese Art von Rhetorik wirklich erfolgreich sein, würden Zuhörer den Aufrufen des Redners aktiv und begeistert folgen, wenn seine Haltung gegenüber dem Publikum tatsächlich von Verachtung geprägt wäre? Oder liegt hier einmal mehr jenes «Versehen« vor, das so oft zu »schiefen« Urteilen über historische Tatsachen und in der Folge auch zu allgemeinen

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