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Das befreite Wort

Das befreite Wort

Titel: Das befreite Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Sprong
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heißen »Flexibilität«, »Leistungsorientierung« (auch und besonders ohne bzw. gegen eigene Neigung), »Konsensorientierung«, »Commitment« und »Teamfähigkeit«.
    Diejenigen, denen diese Werte über alle medialen Kanäle als Schlüssel zum persönlichen Karriereglück nahegebracht wurden und werden, das nachwachsende Management in Politik, Kultur und Wirtschaft also, verstehen sie so, wie sie nicht selten auch gemeint sind: als warnenden Hinweis mit der Pointe: »Persönlichkeit schadet eher, als dass sie nutzt!« 59
› Hinweis
Und der äußere Erfolg derjenigen, die diese Maxime ihr berufliches Leben lang beherzigen, gibt ihr scheinbar recht.
    Denn wer schafft es nach oben, in die Spitzengremien der gesellschaftlich relevanten Organisationen von den Parteien bis zu den Unternehmen? Offenbar doch am ehesten jene, die sich nur selten inhaltlich festlegen und die es nicht zuletzt mithilfe rhetorischer Geschmeidigkeit verstehen, die Richtungswechsel ihrer jeweiligen Meinungsfahne im herrschenden Wind als Ausweis jener »Flexibilität« oder gar »Lernfähigkeit« zu präsentieren, die man von ihnen ein Karriereleben lang erwartet und verlangt hat.
    Dieselbe Gesellschaft freilich, die sich dieses System der Gesichtslosigkeit leistet, erschrickt doch immer wieder vor ihren Ergebnissen. Sie registriert, dass sich beispielsweise ein neu gewählter Bundespräsident zwar durchaus inhaltlich festlegt (Christian Wulff: »Der Islam gehört zu Deutschland.«), stellt aber zugleich enttäuscht fest: »So richtig mitreißend war das nicht, was der neue erste Mann im Staate da zu sagen hatte.« 60
› Hinweis
Wie sollte es auch? Denn zunächst einmal müsste dafür der Bundespräsident Wulff etwas lernen oder wiederentdecken, was er als Politprofibisher eher selten benötigte: Haltung zu haben, zu bewahren und vor allem zu zeigen! Das aber führt zu der Vermutung: Hinter dem Problem mit der Rhetorik steckt möglicherweise ein Führungsproblem. Denn offenbar ist das, was der Führende braucht, um sich in seiner Top-Position auf Dauer zu bewähren, etwas anderes als das, was er brauchte, um dorthin zu gelangen.
    Diese Erkenntnis ist weder neu noch originell. Dennoch wird sie nicht gar zu oft beherzigt. Top-Führungskräfte, die sich – im Ernst – als »Lernende« bekennen, laufen Gefahr, der Führungsschwäche verdächtigt zu werden. Schlimmer noch: Sie hegen diesen Verdacht auch sich selbst gegenüber! Das – unter anderem – macht die Einübung einer Rolle und eines Konzepts schwierig, das schon von den Rhetorikern der klassischen Antike als letztes Ziel, als Dreh- und Angelpunkt aller rhetorischen Wirksamkeit wie auch aller rhetorischen Ethiklehre definiert wurde: das Konzept des »vir bonus« 61
› Hinweis
.
    Es besagt: Nicht die Rede selbst ist gut oder schlecht, wohltuend und förderlich oder schädlich und hinderlich, sondern Charakter und Persönlichkeit des Redners sind es, seine Werte, seine Ziele, seine Absichten. In der Person, nicht im gesprochenen Wort entscheiden sich Wahrhaftigkeit, Haltung gegenüber den Mitmenschen, Authentizität und Glaubwürdigkeit. »Wenn einer kein guter Mensch ist, wird er auch niemals ein guter Redner sein können«, schreibt Cicero 62
› Hinweis
. Wichtiger als ein möglichst umfangreiches faktisches Wissen über die verschiedenartigen Gegenstände, von denen die Rede handeln kann, ist ihm ganz offenbar die Integrität des Redners, das heißt die Vollständigkeit seiner Persönlichkeit im Sinne einer seelischen Bildung und Reife.
    Für den antiken Rhetoriker war das Arsenal der dabei zu verwirklichenden Tugenden und Haltungen schnell beschrieben: Tapferkeit, eine republikanische Gesinnung und Widerstandsfähigkeit gegenüber den Versuchungen der Eitelkeit bilden das Grundgerüst der römischen Charakterbildung auch für den Redner. Für Quintilian etwa ist der perfekte Redner ein »römischer Weiser, der sich in praktischen Versuchen und Leistungen als ein Mann von echter Bürgerart erweist« 63
› Hinweis
. Die Bestimmung dessen, was in diesem Zusammenhang als »gut« galt, wurde auch in den folgenden Jahrhunderten nicht wesentlich verändert: Eine vergleichbare Definition finden wir in der mittelalterlichen »Ars Rhetorica« ebenso wie in den Rhetoriklehren des Humanismus, der Reformation und des Barock. 64
› Hinweis
    Und auch für Rationalismus und Aufklärung bleibt die gute Rede stets die moralische Rede. Johann Christoph Gottsched etwa betont, dass »die

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