Das Begräbnis des Monsieur Bouvet
de la Tournelle zu leben? Sie haben mir erzählt, daß er nicht trank …«
»Weil er nicht konnte.«
»Und wenn er hätte trinken können?«
»Ich glaube, dann wäre er mitgekommen.«
»Und wäre Clochard geworden?«
Der Professor machte ein Zeichen der Zustimmung, schüchtern, in seinen Augen jedoch lag ein leichter Ausdruck von Schadenfreude.
»Wie ich ihm oft sagte, ist es eigentlich nur die Kälte, die wirklich weh tut.«
»Und der Hunger?«
»Der Hunger nicht. Das kannte er alles.«
»Alles in allem meinen Sie also, Monsieur Bouvet war auf Ihre Gesellschaft aus, weil er den mehr oder weniger deutlichen Wunsch hatte, so zu leben wie Sie?«
»Vielleicht. Ich glaube, daß es anderen auch so geht.«
»Waren Sie wirklich Professor?«
»Vielleicht nicht ganz.«
»Lehrer?«
»Das ist schon so lange her.«
»Trinken Sie noch etwas, wenn Sie wollen, aber hören Sie mir gut zu, Legalle. Nicht so sehr für die Polizei wie für einige andere Personen ist es sehr wichtig, über Monsieur Bouvets Vergangenheit Bescheid zu wissen. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß er unter einem falschen Namen gelebt hat, vielleicht sogar unter mehreren.
Bis jetzt scheinen Sie so ziemlich der einzige gewesen zu sein, zu dem er einigermaßen offen gesprochen hat. Können Sie mir folgen? Es geht hier ja gar nicht darum, ihn zu verraten. Zuerst einmal ist er tot. Außerdem liegt auch nichts gegen ihn vor. Wir wollen nur wissen, wer er wirklich war.«
»Wieso?«
»Weil er eine Frau hat, eine Tochter, Geschäftspartner, Geld und weil da verschiedenes zu regeln ist. Hat er Ihnen nie von seiner Frau und seiner Tochter erzählt?«
»Vielleicht.«
»Was hat er erzählt?«
»Er erzählte irgendwas von einer ›Nervensäge‹. Ich nahm an, das war seine Frau.«
»Und von seiner Tochter?«
»Er fragte mich, ob ich Kinder hätte. Ich habe ihm geantwortet, daß ich das nicht wüßte. Das weiß man ja nie, oder?«
»Und was hat er gesagt?«
»Daß das nicht unbedingt etwas an der Frage ändert, ob man es weiß oder nicht.«
»Was haben Sie daraus geschlossen?«
»Alles.«
»Was alles?«
»Daß er das alles schon hinter sich hatte. Ich glaube auch, daß er ein Boot gehabt hat oder daß er auf einem Boot gelebt hat. An die Worte kann ich mich nicht mehr erinnern, aber er guckte die Kähne immer so komisch an.«
»Glauben Sie, er war unglücklich?«
Wieder Staunen in den Augen des Professors.
»Wieso?«
»Sehnte er sich nicht nach seinem früheren Leben zurück?«
Na, da war das Trinken schon besser! Und jetzt schien dem Alten ein Sonnenstrahl mitten ins Gesicht. Er mußte die Lider schließen über seinen Augen, die eher an die Nacht gewöhnt waren.
»Haben Sie ihn nie mit einer alten, ziemlich ärmlich gekleideten Frau mit einem runden blassen Gesicht gesehen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Haben Sie nie gesehen, wie er in ein Haus gegangen ist, in einen Bus gestiegen oder in ein anderes Viertel gegangen ist?«
»Einmal, als ich auf der Place des Vosges auf einer Bank saß, ist er vorbeigegangen.«
»In welche Richtung?«
»Habe ich vergessen. Er blieb einen Moment stehen und schaute auf die Fenster eines Hauses.«
»Welches Haus war das?«
»Das an der Ecke der Place des Vosges und der Rue des Francs-Bourgeois, gegenüber dem Tabakladen.«
»Sind Sie sicher, daß Sie mir sonst nichts mehr zu erzählen haben?«
»Ganz sicher. Sie sind anständig. Ich habe getan, was ich konnte.«
Der arme Monsieur Beaupère hatte nicht viele Dinge erfahren, die er in sein Notizbuch hineinschreiben konnte.
Zur gleichen Zeit schlug sich die Concierge in ihrer Loge mit einem Polizisten höheren Dienstgrades herum, der so unschuldig aussah wie ein Kind und mit ihr Katz und Maus spielte.
Oben in der Wohnung zog man dem Toten schon den dritten Anzug an, einen dunkelblauen, um ihn darin zu fotografieren. Vor Entrüstung hätte Madame Jeanne sicher laut geschrien, wenn sie gesehen hätte, wie einer der Männer den Toten wie einen Schauspieler schminkte, damit er etwas weniger tot aussah.
Sie durchwühlten alles, fotografierten alles; es ging zu wie in einem Bienenstock. In allen Stockwerken klopften Reporter an die Türen, um die Mieter auszufragen. Einer von ihnen wollte dem kleinen Sardot Bonbons schenken, um etwas aus ihm herauszulocken. Der Bengel warf die Bonbons jedoch die Treppe hinunter und fuhr den Reporter wütend an:
»Er war mein Freund!«
Um zwölf Uhr vierzig stiegen zwei Männer in der Gare du Nord aus dem Zug. Der
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