Das Begräbnis des Monsieur Bouvet
ein weiteres Taxi brachte ihn zum Polizeikommissariat des 18. Arrondissements, aber dort hatte man so alte Protokolle nicht aufgehoben.
»Vielleicht kann sich der alte Louette noch daran erinnern!« sagte man ihm scherzhaft.
»Wer ist das?«
»Er hat fünfzig Jahre hier gearbeitet. Erst vor sieben Jahren ist er ausgeschieden. Er lebt immer noch im Viertel, in der Nähe der Rue Lamarck. Ab und zu, wenn er nicht schlafen kann, kommt er, um mit den Männern, die gerade Dienst haben, Karten zu spielen und ihnen Geschichten zu erzählen. Meistens sind das so Geschichten wie Ihre da.«
Er ging in die Rue Lamarck. Er glaubte nicht, daß es sich lohnen würde, aber er wollte nichts dem Zufall überlassen. Der alte Louette lebte tatsächlich noch und war etwa so alt wie Bouvet. Aber er war acht Tage vorher zu seiner Tochter nach Rambouillet gefahren, um dort seine Ferien zu verbringen.
Am Quai de la Tournelle hatten die beiden Frauen die Anwesenheit des Inspektors, der auf der Treppe mit dem kleinen Sardot ein Gespräch angefangen hatte, schließlich ganz und gar vergessen. Madame Lair war so höflich gewesen, zuerst das Wort zu ergreifen.
»Ich glaube, er war glücklich«, erwiderte ihr Madame Jeanne. »Er war nicht, was man einen lustigen Menschen nennt, wissen Sie, keiner von denen, die immer das Gefühl haben, sie müssen Witze machen. Aber er ließ sich auch nicht aus der Ruhe bringen. Noch nicht einmal wegen seiner Gesundheit. Ich habe ihn oft gefragt, warum er nicht zum Arzt gehe, und habe ihm unseren empfohlen, der sehr gut ist und nicht zu teuer.
Er antwortete mir, daß er sich selbst besser auskenne als alle Ärzte zusammen und es keinen Grund zur Sorge gebe.
Als er letztes Jahr krank war, wollte ich wissen, ob ich nicht jemanden benachrichtigen sollte.
›Niemand‹, hat er mir geantwortet. ›Wozu?‹
Schauen Sie sich die drei Sessel an. Sie stehen etwa so, wie sie immer gestanden haben. Er legte Wert darauf, daß sie an der richtigen Stelle standen, denn je nach Sonnenstand setzte er sich mal in den einen, mal in den anderen. Morgens nahm er zum Beispiel diesen hier.
Er hatte seine Marotten wie wir alle, aber richtig auf die Nerven ging er einem damit nicht. Beim Kaffee war er eigen, und wenn ein Tropfen auf der Untertasse war, beschwerte er sich. Er war sehr sauber, fast penibel. Ich habe noch nie einen so sauberen Mann gesehen.
Er bereitete sein Mittagessen gern selbst zu, aber wenn ich dann hochkam, lag kein Krümel auf der Erde.
Was seine Bilderbogen betrifft …«
»Hat er Ihnen nie erzählt, was er getan hat, bevor er hierhergezogen ist?«
»Nein. Aber ich erinnere mich, wieviel Angst er hatte, als die Deutschen auf Paris vorrückten. Er hatte nicht geglaubt, daß sie bis hierher kommen würden. Während ihres gesamten Vormarsches war er von morgens bis abends außer Haus. Ich weiß nicht, wo er hinging, aber er schien besser unterrichtet zu sein als die Zeitungen.
Eines Morgens gegen elf Uhr, er war erst kurz zuvor weggegangen, kam er nach Hause gelaufen und bat mich, ich solle mit zu ihm hinaufgehen und seinen Koffer packen.
Es waren auch schon andere Mieter weg. Auf den Bahnhöfen herrschte bereits das reinste Chaos. Ich weiß nicht, ob Sie damals in Paris waren und sich daran erinnern können.
Ich war überrascht und traurig, vielleicht ganz ohne Grund, daß auch er fortging. Ich hatte gedacht, er würde bei uns bleiben.
›Wohin fahren Sie, Monsieur Bouvet? Die werden es doch nicht wagen, einem Mann in Ihrem Alter etwas zu tun.‹
Er antwortete mir nicht, und ich sah, wie er mit seinem Koffer in der Hand wegging. Es war nämlich schon unmöglich, ein Taxi zu finden.
Während des ganzen Krieges hörte ich nichts von ihm. Er schickte kein Geld für die Miete, aber ich machte mir deshalb keine Gedanken. Ich kam von Zeit zu Zeit herauf, um aufzuräumen. Er hatte ja nur ein paar Kleidungsstücke und Wäsche mitgenommen.
Eines Morgens klopfte ein Mann mit glatt zurückgekämmtem Haar und einem dicken Mantel – es war Winter – an die Glasscheibe der Loge und fragte mich, ob Monsieur Bouvet zu Hause sei.
Ich weiß nicht, warum ich ihm nicht traute. Er hatte keinen Akzent. Trotzdem fühlte ich, daß er ein Fremder war.
Er versuchte mich auszufragen, aber ich antwortete ausweichend, Sie wissen schon, wie.«
Sie sah aus, als wolle sie sagen: ›Sie sind auch eine Frau, und deshalb wissen Sie schon, wie!‹
Plötzlich hörte sie ein Geräusch, rannte zur Treppe, beugte sich über das
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