Das Begräbnis des Monsieur Bouvet
und sagte:
»Guten Tag, Madame Bouvet.«
Um halb sechs begann es zu regnen. Dicke und schwere Tropfen prasselten auf das Pflaster, sprangen wieder in die Höhe, zerplatzten und liefen zu dunklen Pfützen zusammen. Gleichzeitig donnerte es über Charenton, und ein Windstoß wirbelte den Staub auf, riß den Leuten den Hut vom Kopf, und die Passanten begannen zu laufen und brachten sich alle nach einigen Augenblicken der Verwirrung in Toreinfahrten oder unter den Markisen der Cafés in Sicherheit.
Die herumziehenden Obst- und Gemüsehändlerinnen im Faubourg Saint-Antoine zogen sich Schürzen oder Säcke über den Kopf und flohen. Während sie ihre Karren schoben, versuchten sie zu rennen, und schon begannen auf beiden Seiten der Straße die Bäche zu sprudeln. In den Dachrinnen gurgelte es, und überall sah man Leute eilig ihre Fenster schließen.
Monsieur Beaupère hatte in einem dunklen Torweg zwischen einem Gemüsehändler und einem Fleischer Unterschlupf gefunden. Mechanisch las er die Namen auf den an der Mauer befestigten Schildern. Da war ein Zahnarzt im ersten Stock, eine Masseuse im zweiten und irgendwo im Haus jemand, der mit künstlichen Blumen handelte.
Er hatte mehr als vierzig alte Frauen befragt, aber die einen waren klein und mager, die anderen gingen nicht mehr aus dem Haus, andere wiederum schauten ihn verblüfft an, als sie ihn vom Quai de la Tournelle sprechen hörten.
»Was sollte ich denn wohl am Quai de la Tournelle?«
Eine hatte ihm sogar mit einem Wortschwall in einer Sprache geantwortet, die er nicht kannte und von der er annahm, es sei Polnisch.
Nacheinander strich er die Adressen in seinem Notizbuch durch, und da ihn der Regen am Weitergehen hinderte, ging er durch den Gang in den Hof, wo er ein weiteres Emailschild fand mit dem Wort Concierge.
Durch das Gewitter war es fast dunkel geworden. Jemand hatte eine Glühbirne eingeschaltet, die nur ein trübes Licht verbreitete.
Er trat ein und sah eine Frau auf einem Bett liegen. Eine andere, die nur eine schwarze Masse zu sein schien, hockte in einer Ecke. Vor ihr stand ein Eimer für die Kartoffeln, die sie gerade schälte.
»Kriminalpolizei.«
In dem Zimmer roch es ekelerregend nach Schweiß und einem Medikament, das ihn an seine Blinddarmoperation erinnerte.
»Fragen Sie ihn, was er will, Mademoiselle Blanche«, ließ sich eine schwache Stimme vom Bett her vernehmen.
Und eine seltsam kindliche Stimme sagte:
»Was wollen Sie?«
Er hatte sich die Sprechende noch nicht genauer angesehen. Er mußte sich zuerst an die Beleuchtung gewöhnen.
»Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie nicht eine ältere Mieterin im Haus haben, die sich schwarz anzieht und schlecht zu Fuß ist.«
Während er dies sagte, fiel sein Blick plötzlich auf die Füße der alten Frau. Sie hatte ihre Pantoffeln abgestreift, und ihre Füße in den schwarzen Wollstrümpfen sahen riesig und unförmig aus.
»Wohnen Sie hier im Haus?« setzte er hinzu.
Und als die Alte nicht antwortete, sagte die Frau im Bett mit müder Stimme:
»Ja, sie wohnt hier. Seit mehr als dreißig Jahren. Was wollen Sie von ihr?«
Das Grollen des Donners war bisweilen lauter als die Stimmen. Das Licht flackerte. Der Strom drohte auszufallen. Die alte Frau sah ihn verängstigt an, das Messer in der einen Hand, eine halbgeschälte Kartoffel in der anderen.
Ihr Gesicht war groß und bleich wie ein Vollmond, die Augen waren farblos, die Lippen blaß, so als bestehe das ganze Gesicht aus ein und demselben Stoff.
»Kennen Sie Monsieur Bouvet?« fragte er sie unvermittelt.
Er hatte das Gefühl, er sei lange genug in den Straßen des Viertels herumgelaufen. Sie hatte den Kopf gehoben. Sie blickte ihn erstaunt an, sagte:
»Er ist tot.«
»Kannten Sie ihn?«
Sie sagte:
»Ich habe ihm Blumen gebracht.«
»Ich weiß.«
»Ich habe sein Bild in der Zeitung gesehen und ihn sofort wiedererkannt.«
Noch nie hatte er eine Stimme gehört wie diese. Sie war so blaß wie ihr Gesicht, tonlos, unpersönlich. Sie wandte sich zum Bett, um Rat zu holen. Sie war erschrocken, weil sie einem Mann antworten sollte.
»Ist es schon lange her, seit Sie ihn zum letzten Mal gesehen haben?«
»Ja, lange.«
»Zwanzig Jahre?«
»Länger.«
»Dreißig Jahre?«
»Länger.«
»War es in Paris?«
»Ich habe ihn in Paris gesehen.«
»Haben Sie ihn noch woanders gesehen?«
»Ich bin mit ihm nach Brüssel gefahren, und dort haben wir ein Jahr gelebt. Vielleicht weniger. Ich weiß es nicht mehr.«
»Hieß er da
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