Das Begräbnis des Monsieur Bouvet
Herr Rechtsanwalt Rigal ist doch nicht etwa verreist?«
Das Dienstmädchen zögerte. Als Mrs. Marsh in dem langen Flur den Rücken eines Mannes sah, trat sie ein.
»Ich bin froh, daß Sie noch nicht fort sind.«
»Ich fahre in einer Stunde mit dem Zug nach Arcachon.«
»Vorher muß ich noch mit Ihnen sprechen. Ich habe meinen Mann wiedergefunden.«
Da wußte seine Frau, die hinter einer Tür lauschte, daß er nicht verreisen und sie mit den Kindern allein fahren würde.
Bevor die Sonne in Glanz und Schönheit unterging, versprühte sie rote Flammen, die auf den Gesichtern der Passanten widerleuchteten und ihnen ein seltsam erregtes Aussehen verliehen. Der Schatten der Bäume wurde dunkler. Man hörte die Seine rauschen. Die Geräusche waren plötzlich deutlicher zu vernehmen als sonst, und die Leute in ihren Betten spürten wie jeden Abend das leichte Beben, wenn die Busse vorüberfuhren.
Viermal stieg Madame Jeanne zu Monsieur Bouvet hinauf, der ruhig in seiner verschlossenen Wohnung lag. Jedesmal empfand sie die gleiche Befriedigung, denn sie war überzeugt, daß alles so war, wie er selbst es gewollt hätte. Morgen früh würde sie Staub wischen und mit einem Putzlappen über die roten Fliesen gehen. Ein Fenster würde sie öffnen, aber nur einen Augenblick.
Bei jedem ihrer Besuche führte sie einen oder mehrere Mieter hinauf. Der kleine alte Mann jedoch kam nicht über die Straße, und sie traute sich auch nicht, hinüberzugehen und ihn zu fragen, was er wollte.
Um neun Uhr, als es noch nicht ganz dunkel war, hatte sie ihn zum ersten Mal gesehen. Er stand auf der anderen Straßenseite an der Steinbrüstung des Kais und betrachtete das Haus.
Er war ebenso klein wie Monsieur Bouvet, jedoch etwas breiter und dicker. Er hatte einen gelblichweißen Bart, der sein Gesicht fast verdeckte, rotunterlaufene Augen und auf dem Kopf einen unförmigen Hut, den er wohl irgendwo auf der Straße aufgelesen hatte.
Er sah aus wie ein Clochard. Er war wohl auch einer. In diesem Viertel trieben sich viele herum, die in den Elendslöchern um die Place Maubert nächtigten.
Aber er war nicht zufällig hier. Er hatte eine zerfledderte Zeitung in seiner Tasche und ließ die Fensterläden im dritten Stock nicht aus den Augen.
Sie stellte sich in den Eingang in der Hoffnung, er würde sie ansprechen. Sie sah ihm unverhohlen ins Gesicht, abwartend, doch er begnügte sich damit, den Kopf abzuwenden und die am Ufer vertäuten Schlepper zu betrachten.
Der Besuch der dicken Alten ging ihr im Kopf herum. Wenn auch nicht so wie der Besuch von Mrs. Marsh. Die war eine Feindin, gegen die sie sich zur Wehr setzen würde. Die andere mit ihrem Mondgesicht schien Monsieur Bouvet gut gekannt zu haben und gab sich demütig, als fürchte sie, ihm unrecht zu tun.
Der Clochard auch. Er wartete, bis sie hineingegangen war, ehe er sich wieder dem Haus zuwandte und von neuem auf die Fenster starrte. Es war jetzt fast ganz dunkel. Auf dem tiefen Blau des Himmels leuchteten schon Sterne.
Ferdinand war fort. Sie warf einen Blick hinaus und sah, wie der Alte sich widerwillig entfernte. Er zog das linke Bein nach und blickte sich ab und zu um.
Sie schloß die Vorhänge und zog die Lampe herunter. Sie zog sich im Alkoven aus und machte ihr Haar für die Nacht zurecht. Bevor sie sich ins Bett legte, öffnete sie die Vorhänge noch einen kleinen Spalt, um ein letztes Mal hinauszuschauen. Im Mondschein war die Straße fast taghell; in milchigem Weiß hoben sich die Wasserspeier von Notre-Dame vom Himmel ab.
Der Alte war wieder da. Er saß auf der Brüstung mit einer Weinflasche in der Hand und einem Fetzen Papier neben sich, auf dem wohl etwas Eßbares lag.
Sie hatte nicht den Mut, sich wieder anzuziehen, hinauszugehen und ihn zu fragen, was er wollte. Alle Mieter bis auf Monsieur Francis waren zu Hause. Nacheinander erloschen die Lichter. Die Geräusche verstummten, und auch Madame Jeanne schaltete das Licht aus und schlief ein. Sie erwachte nur halb, um gegen drei Uhr morgens an der Schnur zu ziehen und dem Akkordeonisten, der von der Arbeit kam und ihr mit belegter Stimme guten Morgen wünschte, die Tür aufzusperren.
Worauf die Sonne von neuem über Charenton aufging. Mit verschwollenen Lidern kam Ferdinand mit seinem Kochgeschirr, in dem er immer seinen Proviant mitnahm, nach Hause.
Sie schleppte die Mülltonnen auf den Bürgersteig und erzählte dem Milchmann die Neuigkeit. Sie wartete nicht erst, bis der Kaffee fertig war, sondern ging
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