Das Begräbnis des Monsieur Bouvet
unten braucht man manchmal Tage, um in einer Sänfte, einem Tipoie, wie man dort sagt, von einem Dorf ins andere zu gelangen. Der nächste weiße Verwaltungsbeamte wohnte hundertfünfzig Kilometer entfernt.«
»Kurzum …«
»Kurzum, Mrs. Marsh ist es bisher noch nicht gelungen, ihre berechtigten Ansprüche auf das Vermögen durchzusetzen.«
»Hat sie mir nicht erzählt, sie selbst sei ebenfalls reich?«
»Ihre Eltern waren es. Sie sind tot, aber ihr Vater hatte noch Zeit genug, den größten Teil seines Besitzes zu verspielen. Außerdem hat vor ein paar Jahren die Kakaokrankheit in Kolumbien große Verheerungen angerichtet und die Güter zu drei Vierteln ruiniert.«
»Sie steht aber doch nicht mittellos da?«
»Sagen wir, sie ist in Geldverlegenheit.«
»Sie wohnen, Madame?«
»›Hôtel Napoléon‹, Avenue Friedland. Das kommt mich billiger zu stehen als ein eigener Haushalt.«
Anfang August, wo die Hälfte der Beamten sich im Urlaub befand, war ein Fall wie dieser hier mißlicher als ein aufsehenerregendes Verbrechen. Die Besucher betrachteten den Direktor mit strengem Blick, so als wollten sie ihm jeglichen Rückzug abschneiden.
»Wir werden selbstverständlich eine Untersuchung einleiten.«
Im Polizeijargon nannte man so etwas »Nachforschungen in Familienangelegenheiten«.
»Übrigens, haben Sie die Adresse Ihrer Tochter?«
»Ich habe keine Ahnung, wo sie sich im Augenblick aufhält.«
»Wie alt ist sie?«
»Sie muß ein- oder zweiunddreißig sein. Sie ist verheiratet.«
»Mit wem?«
»Mit einem Taugenichts namens Frank Gervais, der keinen Heller besitzt. Zu Anfang haben sie versucht, mir Geld aus der Tasche zu ziehen.«
»Ich nehme doch an, daß auch Ihre Tochter erbberechtigt ist?«
»Das ist Sache von Rechtsanwalt Rigal.«
»Auf diese Einzelheiten einzugehen ist im Augenblick nicht der richtige Zeitpunkt, lieber Direktor, das kann zu gegebener Zeit geschehen. Zuerst geht es darum zu verhindern, daß Samuel Marsh, dessen wirkliche Identität wir zweifelsfrei beweisen können, nicht unter einem Namen begraben wird, der gar nicht seiner ist.«
»Haben Sie die Unterlagen dabei?«
Er hätte schwören können, daß sie sich in der Aktentasche des Anwalts befanden.
»Hier die Heiratsurkunde. Beigefügt sind Kopien der beiden Briefe, die Marsh in seinen ersten Ehejahren geschrieben hat.«
»Und die, die er aus dem Kongo geschrieben hat?«
»Meine Mandantin hielt es für überflüssig, sie aufzuheben. Die meisten Briefe waren mit Bleistift auf irgendwelche Papierfetzen gekritzelt.«
»Ich werde Sie auf dem laufenden halten, Monsieur Rigal. Ich nehme doch an, ich soll mich an Sie wenden?«
»Das wird einfacher sein. Ich wollte gerade meinen Urlaub antreten, aber ich habe meine Frau und die Kinder allein an die See geschickt und fahre später nach. Es ist von allergrößter Wichtigkeit, daß …«
»Ich weiß.«
Als sie gingen, waren sie beide nicht ganz zufrieden, und Rigal nahm sich vor, dem Direktor der Kriminalpolizei keine Ruhe zu lassen.
Um zu verhindern, daß die Angelegenheit sich hinschleppte, brachte er Mrs. Marsh sogleich in die Rue Réaumur in die Redaktion der Zeitung, die am Vortag das Foto veröffentlicht hatte, auf dem Monsieur Bouvet inmitten der Bilderbogen zu sehen war.
»Melden Sie mich dem Chefredakteur. Sagen Sie ihm, ich bringe ihm eine sensationelle Nachricht.«
Er zog eine elegante Visitenkarte aus seiner Brieftasche und überzeugte sich mit einem Blick, daß seine Mandantin auf dem Posten war.
»Sprechen Sie so wenig wie möglich über das, was im Kongo passiert ist. Lassen Sie sich über Ihr Leben in Südamerika aus. Vergessen Sie nicht die fünfzig Anzüge und den Diener. So etwas lesen die Leute gern.«
»Nehmen Sie Platz, Monsieur Beaupère.«
Er war der einzige Inspektor am Quai des Orfèvres, dessen Namen man nie aussprach, ohne ein »Monsieur« hinzuzufügen. Vielleicht war dies seinem Alter oder der düsteren Würde, die er ausstrahlte, zuzuschreiben. Er war ein zuverlässiger, in Ehren ergrauter Beamter, auf dem Pflichten und Sorgen lasteten.
Mitten im August war er schwarz gekleidet; mag sein, daß er wieder einmal um jemanden Trauer trug, vielleicht trug er auch nur seinen Anzug vom letzten Trauerfall auf.
Er hatte sich so sehr mit den »Nachforschungen in Familienangelegenheiten« identifiziert, daß niemand auf die Idee gekommen wäre, einen solchen Fall jemand anderem anzuvertrauen.
»Ein gewisser René Bouvet ist gestern morgen bei
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