Das Beil von Wandsbek
sehr vergnügt, hatten sie für die zweite Novemberwoche eine vorteilhafte Lieferung von wohlgenährten Martinsgänsen abgeschlossen – fettspendenden Mastvögeln, die zum Geburtstag des großen Reformators auf den Tisch kamen, seit Menschengedenken, und zu deren Kauf ein Vers einlud, den wiederum Stine angefertigt haben sollte:
Zum Luthertag im Lichterglanz
Prangt auf dem Tisch die Martinsgans
Gefüllt mit Äpfeln und Kastanien
Von Hamburg bis nach Spanien.
Ganz groß aber blühte das Teetjensche Ansehen selbst im weiteren Umkreise auf, als sich von Lehmkes aus die Nachricht verbreitete, Albert Teetjen, als zukünftiger Rutengänger, werde am neunten November dem Reichsstatthalter, ja vielleicht sogar dem Führer vorgestellt werden. Wer von ihnen war schon von Berlin aus angerufen worden, vom Prokuristen der Arbeitsbank? Daß der Reeder Footh all diese Auszeichnungen vermittelte, der mit Teetjen schon im Weltkriege zusammen gefochten, machte beiden Ehre; es bewies, wie das Dritte Reich den Unterschied zwischen Ständen und Vermögen abschliff, und daß es nur der Wert des Mannes sei, der zählte. In der Richard-Wagner-Straßegab es ja auch Stimmen, die dem Teetjen eine solche Erhöhung nicht gönnten und von Klassenherrschaft sprachen, die sich im Kern nicht geändert habe und der ein kleiner Gewerbetreibender wie Schlächter Teetjen die kalte Schulter hätte zeigen müssen; sicherlich sprang für den Footh dabei etwas Reales heraus – für Teetjen gute Worte, für ihn aber bares Geld. Dennoch steigerte dieses Gerede die Käuferzahl in Teetjens Laden; die Türschelle klingelte öfter, die Registrierkasse auch, Suppenfleisch, Karbonaden oder Kochwurst wurden in Pergament oder weißes Papier eingewickelt, und Frau Stine hatte für jeden Kunden einen freundlichen Blick oder ein nettes hamburgisches Wort, das die Bekömmlichkeit der Speise erhöhte. Zudem hatte das Winterhilfswerk eingesetzt, neue Laufkundschaft in die Straße bringend, mancher SA.-Mann holte sich ein Stück Knoblauchwurst zu einem Schmalzbrot oder seiner Margarinestulle, und ein Asternstrauß im Schaufenster wirkt besser, wenn die Nachbarn sehen, daß die Schmutzspuren von der Straße auf der Ladenschwelle nicht trocken werden. Gute Zeit war bei Teetjens eingekehrt, guter Schlaf, elastischer Gang, und da der Mensch nicht vom Brote allein lebt, führte Albert seine Stine am Samstagabend sogar ins Theater, wo sie ein lustiges Gesangsstück, »Die Husarenbraut«, hörten, in dem der olle Zieten und selbst der alte Fritz auftraten und die Polen oder die Russen verulkt wurden; Stine wußte nicht mehr genau, wer, als sie, nach herzlichem Lachen müde, daheim ihre Haare auflöste. Jedenfalls hatte der Held großartig gesungen, und es fehlte nur, daß auch ihr Albert eine Tenorstimme in sich entdeckte, um so vollkommen zu sein wie jener Rittmeister. Das war viel schöner gewesen als der Wünschelrutenabend, und das Sitzen in einem menschenvollen Haus mit riesigem Parkett, Kronleuchtern und vielen Rängen bereitete schon ein Fest für sich. Man gehörte dazu, war einer von gleichen, fühlte sich eingebettet in die große Volksgemeinschaft – ganz so wie sie es dem Albert mal gesagt, keiner ist allein. Wann war das doch gewesen? Nicht an dem Unglücksabend, wo ihr einfiel, dem Footh zu schreiben; aber wie kam sie denn darauf, diesen Anfang ihres Aufstiegs, der guten Zeit, einen Unglücksabend zu nennen? Was war ihr denn da ausgeglitten? Glücksabend mußte er heißen, der Abend, andem sie mit Papier und Tinte anfingen, sich aus der Tinte herauszuarbeiten. Dumme Stine, armes Schaf. Gottlob, daß der Albert nicht merkt, daß du eines bist, und sich über dich werfen wird mit seiner ganzen Kraft und Herrlichkeit, wenn diese verdammte Auszieherei beendet und das Licht gelöscht ist.
Wie ein Unglück selten allein kommt, können sich auch die Glücksumstände truppweise einstellen. Herr Footh kam aus Berlin zurück, fuhr bei Teetjen vor, die Arme voll Winterrosen für Frau Stine – Anneliese Blüthe hatte darauf bestanden, Herrn Ruckstuhls Abschiedsstrauß, ehe er ganz verwelke, mit Frau Teetjen zu teilen – und in einem von Rosenduft erfüllten und mit gutem Zigarrenrauch geschwängerten Wohnzimmer verkündete Herr Footh feierlich: Herr Ruckstuhl lasse grüßen, und Albert Teetjen werde nicht nur am ersten November dem Reichsstatthalter, sondern am neunten auch dem Führer vorgestellt werden! »Mit geputzten Stiefeln, min Söhn«, hatte Herr Footh
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