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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Glas voll und trank. »Vielleicht sollten Sie nicht ›trotz‹ sagen, sondern ›wegen‹«, meinte er dann heiser. Es kroch etwas wie ein Schrecken um diesen kleinen, runden Tisch im Erker einer Altonaer Wohnung, während draußen Schneetreiben spielte; in der Silvesternacht hatte der wirkliche Winter eingesetzt, mit Glatteis und vielen Stürzen und Knochenbrüchen. »Da die Heere den Krieg nicht wollen, wer zum Teufel will ihn?«
    »Preisfrage«, entgegnete Lintze. »Heere wollen stark sein und den Wehrwillen pflegen. Berufssoldaten beißen immer nur in sauere Äpfel. Wer diejenigen sind, die solche Äpfel als süß ausgeben, fragen wir die Philosophen.«
    »In früheren Zeiten, als mich die Praxis noch nicht ganz auffraß, las ich Bücher, nationalökonomische. ›Die Sendlinge des Kapitalismus‹ beantworteten diese Ihre Frage, lieber Herr Lintze. Die verewigte Wirtschaftskrise. Aber das kann nicht stimmen, denn andere wieder beschuldigten die Waffenfabriken, und die neueste Lehre sagt: die Juden. Welcher Meinung Sie selber sind, müssen Sie uns verraten.« Aber Herr Lintze schüttelte ungeduldig den Kopf. »Irre ich nicht, so wollten Sie mir, Sie und Herr Koldewey, von einer Entdeckung berichten, die Ihnen in denletzten Wochen gekommen ist. Herr Koldewey hat das Wort.« Heinrich Koldewey wollte zunächst diese Aufgabe auf Frau Neumeier abschieben; ihr war die Entdeckung zu verdanken, wenn es eine war, der Dank gebührte. Dann aber übernahm er es doch, im Zusammenhang darzustellen, was sie beide all diese Tage besessen hielt. In seinem Munde, durch seine belegte Stimme, gewann der Bericht, der Herrn Hitler mit dem erwiesenermaßen geisteskranken D. P. Schreber gleichsetzte, etwas Erschreckendes. Nüchtern und aktenmäßig informierte er Herrn Lintze. Die Meinungen der Psychiater über das Nebeneinander von Scharfsinn und Wahn bei diesen Menschen nahmen Gestalt an. Ihr völlig getrübtes Verhältnis zur Außenwelt, zur Wirklichkeit, ward durchsichtig, ihre hemmungslose Bereitschaft, in den Alltag jede Art von Wahnbesessenheit zu projizieren. Von seinen breit geschnittenen Lippen reimte sich’s, eine Sache, je absurder sie war und klang, für desto glaubhafter zu halten, und völlig deutlich arbeitete Herr Koldewey durch Vergleiche mit seinen »Zöglingen« aus den Seelen der Irren deren Sucht heraus, innerhalb des Wahns zu agieren, sich zu betätigen, sich verrückt zu benehmen – und gleichwohl doch, dicht daneben, so vernünftiger und einleuchtender Darstellungen fähig zu sein, daß die klugen sächsischen Behörden nicht umhin konnten, die Entmündigung wieder zurückzuziehen, die sie vor Jahr und Tag über den einstigen Senatspräsidenten verhängt. Herr Koldewey zog ein Notizbuch vor, in welchem er sich einzelne Punkte vermerkt hatte, Zitate einleuchtender Parallelen. Er trank noch ein zweites Glas Kognak aus und schenkte sich ein drittes ein und referierte, als sei er von einem Vorgesetzten zum Vortrag befohlen. Käte Neumeier hörte die Uhr sechs Schläge tun, hübsche, melodische Klänge, und dachte, so gut habe sie noch nie einen Menschen über Gelesenes berichten hören. Und dann beobachtete sie Herrn Lintze in seiner bequemen Litewka, ein Schnällchen mit Ordensauszeichnungen aus dem vorigen Kriege auf der linken Brustseite. Er rauchte nicht, er sagte nichts, er blickte Herrn Koldewey an, die Augen halb geschlossen, und als der fertig war, griff er selber zur Kognakflasche, trank eins und räusperte sich. Und schwieg. Von der Straße her klingelten Schlitten.
    »Wir sind uns doch alle klar«, meinte er dann mit seiner hohen, höflichen Stimme, »daß uns die Gestapo das Genick umdreht, wenn sie von diesem traulichen Beisammensein Wind bekommt. In Ihrem Haus verkehrt ein Herr Footh, dem ich nicht über den Weg trauen würde mit solchen Gedanken.«
    »Ist schon distanziert«, nickte Herr Koldewey. »Und vergessen Sie nicht, in meinem Bezirk bin ich selber die Gestapo. Wollte sie mir an den Kragen fahren, so müßte sie noch zeitiger aufstehen als üblich.« – »Gut«, lächelte Herr Lintze, und auch Käte Neumeier schmunzelte vor sich hin. »Also muß ein gewisser großer Führer weg, wenn er wirklich unsere Oberaufsicht loszuwerden versucht. Die Armee hat, was sie braucht, wie zu Bismarcks besten Zeiten, nur einen Bismarck hat sie nicht. Braucht sie auch nicht. Wenn sie nur ihren Roon und Moltke behält.«
    »Roon und Moltke«, wiederholte Koldewey, »damit meinen Sie Blomberg und

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