Das Beil von Wandsbek
November bereits, am achtzehnten, um genau zu sein, war Geesche Barfey das Geheimnis zum erstenmal über die Lippen gerollt, bei Frau Eisenbahnsekretär Doligkeit, die eigentlich selbst hätte waschen können, wie ihre Hausleute meinten. Nicht so Frau Doligkeit, und da sie der Zustimmung ihres Mannes sicher war – »er mag das nicht, meine Hände sind ihm zu schade, und den Wäschegeruch in der Wohnung kann er schon gar nicht leiden« –, ging das schließlich niemanden etwas an. Sie hatte sich während des zweiten Frühstücks zu Geesche Barfey gesetzt, denn Hochmut war nicht ihre Sache, und es hieß, sie habe sich ihr Brot früher gelegentlich auch in der Reeperbahn verdient, bevor Doligkeit an ihr kleben geblieben. Wie dem auch war, sie als erste aus der Teetjenschen Kundschaft erfuhr, woher das neue Betriebskapital stammte, dessen sich Albert offenbar erfreute.
Sie erblaßte und mußte sich am Küchenstuhl festhalten und nach Luft schnappen. »Frau Barfey!« sagte sie, »in unserer Straße! Ein Henker! Glaub ich nicht. Wird nicht stimmen. Kann nicht stimmen. Was die Leute alles daherreden, davon hat man Beispiele.« – »Nur zu wahr«, pflichtete Geesche bei, »was klatscht man nicht alles über die Stine oder meinen armen Tom. Aber das kommt leider aus guter Quelle, direkt aus Fuhlsbüttel, Frau Sekretär, und sagen Sie’s nur ja niemandem weiter.« – »Ich und weitersagen«, beteuerte Frau Doligkeit. »Aber da müßt man die Gesundheitspolizei anrufen, so kann das doch weiß Gott nicht bleiben!« – »Bloß nicht, Frau Sekretär. Staatsdienst und Parteidienst, Gemeinnutz über Eigennutz. Kein Mensch kommt gern in Teufels Küche.« – »Wahr«, sagte Frau Doligkeit, »dann muß man selbst zusehen. Epa hat auch Fleisch, ganz gutes sogar. Die Reisstärke, mit der wir heute waschen, stammt auch von da. Muß bloß sehen, wie sichmein Mann dazu stellt. Es waren doch Kommunisten, die da hingerichtet wurden?« – »Doch«, sagte Geesche Barfey, indem sie sich den Mund wischte, »aber Beil ist Beil und Blut ist Blut, und die Hygiene fragt nicht nach Politik. Wenn Sie wüßten, wie mir die Stine leid tut, richtige Tränen habe ich geweint.« – »Gott«, sagte Frau Doligkeit kühl, die selbst eine hübsche Frau zu bleiben wünschte, bei anderen aber die gleiche Haltung nicht gern sah, »gibt doch reichlich was an, die Frau Teetjen, mit Blumen im Haar und Blattwerk im Fenster, immer lila und grün zu ihren Haaren – nein, weinen könnt ich da nicht.«
Als Geesche Barfey damals abends ihrem Tom berichtete, daß ihr seine Nachricht die Zähne auseinandergepreßt habe und ihr über die Zunge gelaufen sei, nickte Tom zweimal vor sich hin und blickte scharf in die dunkle Ecke der Wohnküche, wo über dem Herd die Töpfe hingen. »Die Doligkeit also.« Sie war ein kleiner Topf, der leicht überlief. Der Herr Eisenbahnsekretär Doligkeit würde die Nachricht mit in ein riesiges Bürohaus der Eisenbahnverwaltung Wandsbek nehmen, wo er arbeitete. In dem großen Kasten, Gustav-Adolfstraße, saßen Gott weiß wieviel Beamte, lauter Registratorseelen, wie Pastor Langhammer sie in seiner guten Zeit genannt hätte. Sie hatten alle Hände voll zu tun, wobei Gespräche nicht nur verboten waren, sondern wirklich störten – die Eisenbahn stellte sich Tom nicht als Kinderspiel vor, und ihr Fahrplan verkörperte ihm alles, was der Mensch an Genauigkeit und Organisationskunst zu leisten vermochte. Aber in den Pausen, auf den Gängen, in den Toiletten, vor allem in der Kantine und beim Warten auf die Hochbahn – wieviel Gelegenheit, ja Zwang zu kollegialen Gesprächen! Na, und wenn Sekretär Doligkeit da mit einer solchen Bombennachricht aufwarten konnte, da stand er vielleicht da! Tom kannte nicht viele Männer, aber soweit er Gelegenheit hatte zu beobachten, erschienen sie ihm nicht weniger plauderhaft als Frauen. Und während er seine Schmalzstulle kaute, stellte er sich vor, wie dieses Gerücht langsam auf den Güterbahnhof hinübersickerte zu Lokomotivführern und Schaffnern, in die Personenzüge übergriff. Daß ein Schlächter Teetjen irgendwo in Groß-Hamburg existiere, der sich zum Henker an politischen Gefangenen hergegeben, für Geld und ausÜberzeugung, das tropfte jetzt längs der Schienenwege ins Land hinaus. Die Leute konnten es glauben oder nicht, sie konnten es bestreiten und erörtern, es loben oder tadeln – aber verschwiegen blieb es nicht mehr. Die Geschichte mit der Maske, lieber Albert, die ist nun mal
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