Das Beil von Wandsbek
Denn Herr Koldewey hat einen Auftrag auszuführen, dem Rädelsführer Timme das Wandsbeker Beil zu überbringen. Und jener Buchhändler Mengers entpuppt sich als der Wandsbeker Bote, in Kniehosen und einem blauen Frack – geborgtem Frack, wie sich herausstellt. Dies seien die Kulissen, erläutert er, der europäischen Kultur, der bürgerlichen Gesittung, und wenn die reif ist, fallen sie ab. »Fallen ab?« – Stürzen diese herrlichen Akkorde hinunter, hören Sie nur! Und doch, alle alten Rosen entblättern sich, stürzen ein. So war es mit der griechischen, der römischen, der christlichen, der feudalen Rose – denken Sie nur an den Dante, Herr Geheimrat; alles aus, alles weg.« Herr Koldewey, während er sich pruschend im Waschbecken wusch, verzog sein längliches Faunsgesicht – so nannte er es selber – zu einem Lächeln, bei welchem ihm etwas Seifenschaum in den Augenwinkel geriet. Daß ein gebildeter Herr nicht einmal träumend aus dem Rahmen seiner Lesewelt hinausfiel, verursachte ihm wohlgefällige Empfindung. »Den Dante, Herr Geheimrat« – er hatte eine neue, besonders schrullige Übersetzung der »Göttlichen Komödie« vor einigen Tagen in der Mönckebergbuchhandlung angeblättert und sich zur Ansicht schicken lassen. Ah, jetzt also lag man, noch allein, noch Junggeselle, in seinem Schlafzimmer und gab sich keinen anderen Erwartungen hin, als denen, die sich auf die Rückgewinnung, Wiedererinnerung des Traumes von vorhin bezogen. Mitten im Sitzen, Lauschen, beinahe im Lesen, hatte ihn dieser Traum heimgesucht – Brandruinen in Form einer schwarzen Rose – ohne das Solo aequare heute mittag draußen in Cuxhaven wäre dergleichen wohl nicht zustande gekommen. Television – du lieber Gott, dem Rädelsführer vom vorigen Jahre das Wandsbeker Beil überbringen – Herr Koldewey, der Träumer, nicht der Geträumte, kicherte. Ein höherer Beamter überbringt keineBeile, auch im Traume nicht. Höchstens die Anweisung überbringt er, wo man sie beheben könne. Und solche Gesetze der Rangordnung wirft auch kein Traum um. Wenigstens kein honetter, von besagtem höherem Beamten selber geträumter. Alle alten Rosen entblättern sich, war es nicht so? Stürzen ein. Alles weg, hatte der Herr Mengers gesagt, der übrigens aussah wie der Kladderadatsch auf dem früheren Witzblatt, mit langer Nase und freundlichen Augen und, wie gesagt, in Kniehosen und Frack. Und was dann bleibe, hatte Herr Koldewey gefragt. »Erst ein kahler Kelch«, lautete die Antwort, »kümmerlich und struppig, und eine spitze rote Hagebutte, mit vielen kleinen Körnern.« (Ja, so was gab es im Garten um den Oktober herum reichlich zu sehen.) Und dann wird sie gepflanzt, und da wächst eine neue Rose, wieder in B-dur, schön und brahmsisch, ewige Wiederkehr des Gleichen. Rose nach Rose, deus ex deo, wie sie in der H-moll-Messe sangen, aber die neue ist hoffentlich nicht schwarz, rauchschwarz, zigarrenschwarz, sondern rot von Blut. Es wird ja genug aus Hälsen verschenkt und aus all anderem Fleisch, nicht wahr, Herr Teetjen? – Ja, richtig, und Herr Koldewey, der sich Erinnernde, klopfte ärgerlich mit der Handfläche auf seine schöne, seidengrüne Steppdecke. Dieser Traum hatte ihn – welche Kühnheit! Und was man sich für Unsinn leistete, sobald man den gesunden Verstand schlafen schickte – dieser Traum hatte ihn mit dem braven, brauchbaren Werkzeug verwechselt, mit Herrn Fooths Erfindung und Kriegskameraden Albert Teetjen, Schlächtermeister. Aber er, der geträumte Herr Koldewey, hatte sich das nicht gefallen lassen. »Erlauben Sie«, hatte er protestiert, »mein Name ist Koldewey. Ich heiße nicht Teetjen.« – »Aber Herr Geheimrat«, entgegnete der Buchhändler, indem er sich hinter seinem Ladentisch verneigte. »Was ist Name anderes als Schall und Rauchfleisch!« Und damit kam er hervor und führte Herrn Teetjewey in die letzte Galerie, die innerste, in der es herrlich nach Brahms und Brand und Rosen roch. Das ist der dritte Satz; hatte der Träumende gefühlt, und da saß jetzt auf einem Polster von Staubgefäßen, mit gekreuzten Beinen à la turc, Herr Friedrich Timme und hob den Arm. Da fielen die Blätter, die schwarzen, riesigen Wände, eine nach der anderen ab, nackte, leere Mauernstarrten wie eine kahle Bühne herein, der Bote legte das Beil – siehste, nun hat er’s doch! – zu Füßen des Sitzenden, mit der roten, spitzen Hagebuttenmütze, in das moosige Polster. Da streckte Herr Koldewey, tieftrunken von Schlaf,
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