Das Beil von Wandsbek
langjähriger Vertrautheit und dem bohrenden Ärger über Alberts Geiz. Ein Mann, dem er immer Kredit gegeben, wegen dessen erdem mißtrauischen Instinkt seiner Frau je und je abgewinkt, steckt zweitausend Mark in die Tasche und spendiert dann grade mal eine Runde Köhm und kauft einmal eine Kiste Zigarren, so Fehlfarben mit getigertem Deckblatt. Was ein Dreckfresser! Welche Leuchte an Kameradschaft.
Aber wenn er erwartet hat, den beiden Partnern etwas Neues zu erzählen, so müssen sie ihn enttäuschen. Beide wußten das Geheimnis längst, zu beiden war es aus verschiedenen Quellen gedrungen, beide hatten die Ohren gespitzt, schon als Albert dem Statthalter vorgestellt wurde und P. G. Footh nach den Thetisschiffen schnappte. Pieder Preester pafft aus seiner Pfeife und blickt mit kleingekniffenen Augen dem Kameraden Lehmke in die seinen. »Nicht schön und nicht kameradschaftlich, da hast du ganz recht. Und dafür gibt es ja Vergeltung. Die einen werden nach Wien sausen und andere daheimbleiben. Die einen werden reiche Juden beerben und die ältesten Klöster Deutschlands ›besuchen‹, und andere werden in Hamburg sitzen und sich sehr wundern, wenn wir ihnen nichts mitbringen von unserem Ausflug. Das langt dann auch noch für Otto Lehmke, aber für Albert Teetjen langt’s halt nicht. Und vor ein Kameradschaftsgericht kann man ihn dann immer noch ziehen, den fixen Wünschelrutenmann. Nicht so, Kamerad Vierkant?«
Redakteur Vierkant ist gerade damit beschäftigt, für den Hamburger Rundfunk einen Vortragszyklus zusammenzustellen. Das Jahr 38 feiert mehrere fünfjährige Jubiläen – Stationen auf dem Siegeszug, mit welchem die Partei den Staat erobert, durchdringt und aufsaugt. Bevor der Anschluß alles Interesse an sich reißt, möchte er die wichtigsten Daten in je einer halben Stunde behandelt haben, in Wien dabei sein und dennoch auf ein reichliches Honorar in Hamburg nicht verzichten. Am 30. Januar selbstverständlich fängt er an, für den Februar sorgt der Reichstagsbrand, für den April der Judenboykott, aber ein Märzdatum fehlt ihm noch. Und vom Stapel lassen wird er diese Vorträge als Vorschau gewissermaßen, je einen in jeder Februarwoche. Darum muß er heute bei der Norag seinen Themenvorschlag einreichen. Teetjen? Sehr gut, natürlich vertagen. »Aber sagen Sie, Preester, was war im März?« Und Preester hat die Parteigeschichte am Schnürchen,denn als sie heute zu Lehmke fuhren, haben sie Vierkants Schwierigkeiten bereits besprochen. »Gab’s nicht im März, um den achtzehnten herum, die erste Abrechnung mit dem Stahlhelm? Wo den Hugenbergleuten gewunken wurde, welcher Wind jetzt wehte? Und daß es nichts sein werde mit dem Einklemmen der NSDAP. zwischen Junker und Zentrum?« – »Richtig«, strahlt Vierkant auf. »Das muß in Braunschweig gewesen sein, danke schön, Preester. Ein wichtiger Punkt, Einsturz der konservativen Hoffnungen, lange Gesichter beim alten Hindenburg, seinem Oskar und dem Nachbar Januschauer. Und den Teetjen lassen wir links liegen und stellen ihn kalt, bis er es selber merkt. Vielleicht geniert er sich dann und greift nochmals ins Portemonnaie. Und jetzt raus und zur Straßenbahn – aber Vorsicht, Glatteis. Und die Grogs, Lehmke, schreiben Sie mir auf. Ich schmeiße sie vom Noragvorschuß.«
Als die beiden Männer in ihren schwarzen Uniformen den hellen und durchwärmten Trambahnwagen betreten, verstummt kein Gespräch – die Hamburger sind ohnehin schweigsame Leute und dösen vor sich hin oder wechseln halblaute Worte, aus denen niemand irgend etwas entnehmen könnte. Der Schaffner aber, der ihnen die Fahrkarten verkauft hat, tritt durch die Vordertür wieder zu seinem Fahrer auf die leere, luftige Plattform. »Zwei vom Sturm Preester«, damit stellt er sich wieder ihm zur Seite, um das Gespräch fortzusetzen. Um sechs war Schichtwechsel, und die Neuigkeit, die der Kollege ihm beim Vorüberfahren an der Wagnerstraße vorhin anvertraut, arbeitet noch in ihm und wird es wohl noch langehin besorgen. Der Kollege Fahrer aber ist hier in der Nähe gut bewandert, er hat eine Freundschaft, eine gemütliche und intime Beziehung mit der Frau eines Eisenbahners hier herum, einer gewissen Doligkeit, einer hübschen, wuschelhaarigen Blondine, ’n bißchen Wasserstoff mag ja mang sein oder Kamillentee. Die Nachricht, daß der Friedel Timme von einem Kerl geköpft worden ist, der jeden Augenblick in diesen Wagen der Linie I einsteigen und einen Fahrschein verlangen und
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