Das Beil von Wandsbek
mir den Wasserdruck ab – bis wir beide wie halbtote Karpfen auf dem anderen Ufer lagen und nach Luft schnappten. Wo ich doch damals stempeln ging und also genug Zeit gehabt hätte zum Trainieren, aber kein Mumm in den Knochen, Margarine statt Butteroder Schmalz mit Griewen. Und mit der Kost machen wir jetzt überstreckte Schichten – aber freilich, wir sind keine jungen Hunde mehr, und mit dem Übermut ist’s aus und dem Schwimmen, und die Lene Prestow ist auch hinüber. Und damit geht der Schaffner wieder durch die Vordertür. Albert Teetjen, Schlächtermeister, denkt er.
Eine Straßenbahn durchsaust oder durchkreuzt den Tag hindurch eine Menge Kilometer. An ihrem Strang ist ein beliebiger Teil des riesenhaften Stadtwesens aufgereiht, das Groß-Hamburg heißt – ein Insektenstaat aus Ziegel, Mörtel und Beton, der sich sehen lassen kann, auch neben den Insektenbauten, den Termitenhaufen, obwohl diese, mit menschlichen Maßen gemessen und mit der Körpergröße ihrer Erbauer verglichen, Matterhornhöhe erreichen. Die Termite baut eben vertikal, der Mensch aber horizontal, und stellte man Groß-Hamburg einmal auf die Kante, so überträfe seine Höhe alle Gebirge der Erde. Und solch eine Straßenbahn taugt recht wohl zum Verbreiten eines Gerüchtes unter zuverlässigen Leuten. Es leben und treiben hunderttausend Nazis in dieser Stadt, hunderttausend überzeugte Nichtnazis und eine Million Mitläufer, wie das unter Leuten so zu sein pflegt. Und da der Mensch in seinem Erdendasein nicht gerade glücklich ist und also unzufrieden von Natur, fällt es geschickten Agitatoren mit gefüllten Kassenschränken einigermaßen leicht, ihn bald auf die eine Seite hinüberzuziehen, bald auf die andere.
Lene Prestow hat ihrem Bruder Otto immer seines langsamen Geistes wegen mit Spott und Neckerei zugesetzt. Er fährt heute schon mehrere Stunden an der Ecke Wagnerstraße vorüber, aber erst seit dem Gespräch mit dem Schaffner nehmen seine Gedanken über den Schlächtermeister Teetjen deutlichere Formen an. Was wird der tun, wenn sich kein Mensch mehr in seinen Laden verirrt? Wie lange wird der Sündenlohn vorhalten? Was für Unterhaltskosten verschlingt ein solches Geschäft, sobald es nichts mehr einbringt? Es hält schwer, solche Wirtschaftsdinge ohne Papier und Bleistift zu übersehen, zumal wenn man am Führerstand einer Elektrischen steht und Kurbel rechts, Kurbel links dreht, die Augen auf den Gleisen hat und auf der Straße voran,das Ohr aber bei der Glocke, welche anzeigt, ob Fahrgäste bei einer der »freiwilligen« Haltestellen aussteigen wollen, die man sonst im Interesse der Gesellschaft, das heißt des Stadtstaates, überfährt. Auf die erste Frage antwortet sich Prestow ohne Schwierigkeiten: der Teetjen muß ausziehen, die Stadt verlassen, irgendwo Dienste suchen, wo man nichts von ihm weiß. Die Partei wird ihn nach Amerika schicken, aber erst wenn er völlig ruiniert ist, und dann wird sie ihn als das gebrauchen, was man seit ein paar Wochen nach einem spanischen Schlagwort die »fünfte Kolonne« nennt. Stimmung machen für den Hitler, die Emigranten und Juden ausspionieren, womöglich rauskriegen, wer Steuerschiebungen gemacht hat, und ob sich solch einer wieder einmal über die Grenze traut, um weitere Vermögenswerte zu bergen. Vielleicht ist der Schlächtermeister zu solcher Arbeit nicht verwendbar, nicht schlau genug, geschmeidig. Dann gibt es ja außerhalb der Grenzen Aufgaben genug – Zufälle, bei denen Feinde der Nazis ums Leben kommen. Und Teetjens Frau, die kann Dienstmädchen werden in vielen Städten der Welt, oder auf den Strich gehen wie die arme Lene. Und auch damit kann sie sich den mittleren Dienststellen der Auslands-NSDAP. nützlich erweisen. Sie sieht gar nicht schlecht aus, die Frau Teetjen, wenn sie den Wagen mal benutzt, um in die Stadt zu fahren. Die Alma Doligkeit meint, mit etwas make-up ließe die sich zu einer Frau mit sex-appeal herrichten. (Solche englische Worte benutzt die Alma gern, sie sind so up to date.) Aber als er das nächste Mal an dieser Ecke vorüberfährt, hat Trambahnführer Prestow entschieden, Teetjen und Frau würden einfach irgendwo bei Verwandten unterkriechen, auf dem platten Lande, wo jeder Mensch einen Vetter oder einen Großonkel zu wohnen hat. Verhungern? Leider nein. Aber in Hamburg bleiben – das noch weniger. Und wenn der Hitler wirklich seinen Krieg gegen die Sowjets startet ... Aber so blöd ist der doch nicht. Der weiß doch, und seine
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