Das Beil von Wandsbek
Hintermänner erst recht, wenn er mit weißem Fußsack (oder Vollbart) wie der einstige Graf Posadowsky nach weiteren fünfzig Lebensjahren zu Grabe getragen werden will, als Adolf der Heilige oder Adolf der Befreier, dann braucht er bloß Frieden zu halten. Ein sozialistischer Staat führt keinen Angriffskrieg. Eine Räterepubliktut ihre Pflicht gegen ihre Bürger, ihre Jugend, indem sie alle Hilfsmittel des Landes zur Verteidigung ausnutzt und sich vorbereitet wie zehntausend Teufel. Vorbeugen aber, das tut sie nicht. Die entfesselt keinen Krieg, denn im Kriege fallen immer die Falschen. Und so kann das Dritte Reich sein fünfzigjähriges Jubiläum feiern, am 30. Januar 1983. Denn mit den Westmächten wird sich der Hitler doch nicht anlegen. Der ist doch viel zu schlau, um auf seinen eigenen Schwindel mit der Dolchstoßlüge 1918 hineinzufallen. Das war Stimmenfang, völkischer Zauber. Von innen her aber ... Deutscher Michel, schlafe wohl! (Was der schwerfällige deutsche Box aus der Lübeckerstraße so spät noch auf den Schienen zu schaffen hat! Nicht einmal von der Glocke läßt sich das Biest bangemachen.) Dann also beim goldenen Jubiläum des Dritten Reiches kann der alte Teetjen bei irgendeinem Erbhofbauern im Bückeburgischen immer noch die Schweine hüten, aus seinem Koben herauskriechen und den Leuten erzählen: als ich jung war, ob ihr’s glaubt oder nicht, bin ich dem Führer vorgestellt worden, für Verdienste um die Volksgemeinschaft. Und keiner wird sagen, so sieht sie auch aus, deine Volksgemeinschaft. Und hier hast du einen Schnaps, Alter, und nun kriech zurück in deinen Koben.
Und der Wagen der Linie 1 verschwindet im Nachtdunst, weit hinten, wo die Bogenlampen opalen schimmern.
Zweites Kapitel
Das Innere der Erde
Nach Neujahr tritt im Geschäftsleben eine stillere Zeit ein. Die Käufer haben ihr Geld ausgegeben, und die Geschäftsleute müssen Inventur machen, Gewinn und Verlust berechnen, Steuern erklären und ihre Angestellten auf Urlaub schicken, wenn sie welche haben. Albert Teetjen überließ diesen Teil des Alltags seiner Stine, die dazu von Natur besser taugte. Er seinerseits benutzte diese Tage für das, was er seit einiger Zeit seinen eigentlichen Beruf nannte, zur Vertiefung in die Rutengängerei. Es gab doch sicherlich Bücher, die einen Mann über das Innere der Erde aufklärten;man konnte sie aus einer Volksbibliothek entleihen und wußte dann besser, woran man war. Ohnehin war die Stine bei der nächstgelegenen Ausgabestelle eingeschrieben und konnte jede Woche tauschen. Und zu was Ende saß oben in der Dachkammer Tom Barfey und wußte tadellos Bescheid – froh, sich für leibliche Genüsse mit Ratschlägen revanchieren zu können, die das andere Gebiet betrafen, das geistige, das gedruckte?
Tom lächelte befriedigt, als Stine ihm Alberts Anliegen vorbrachte. Natürlich dachte er gar nicht daran, dem Beilschwinger wirklichen Aufschluß über das zu vermitteln, was die volkstümlich schreibenden Naturforscher dem Verständnis allgemeiner Leserschaften darboten. Ausdrücke wie Magma und zähflüssige Kieselsäure gingen solchen Alberts ja ohnehin über den Horizont. Und was die Naturforscher über den Eisenkern der Erde und die beständige Zunahme von Temperatur und Druck wußten, über Erdmagnetismus und das Auseinanderliegen von magnetischem und physikalischem Nordpol, damit konnte ein Teetjen doch gar nichts anfangen. Was hatte solch ein geschwungener Schnurrbart in den Gehegen der Wissenschaft zu suchen? Aber abgesehen von der Freude, daß Stine an seinem Tisch saß und sein Kohlenöfchen lobte, die behagliche Wärme unterm Dach, und wie er die Fugen des großen Fensters mit Zeitungspapier weislich abgedichtet – er hatte ein Buch für den Albert Teetjen! »Reise nach dem Mittelpunkt der Erde« hieß es, von dem Franzosen Jules Verne – er buchstabierte ihr den Namen, indes sie den Titel aufschrieb –, ein Buch, wie für Hamburger verfaßt, denn es begann in unserer Stadt, ein Hamburger Professor war der Held, einen alten Schmöker hatte der entdeckt, von einem Isländer geschrieben, Arne Saknussen, und von unserem Hafen brach er mit seinem Neffen auf, um auf Island nach Saknussens Anweisungen in einen erloschenen Vulkan hineinzusteigen und so bis in die Tiefen vorzudringen, wo allerhand Überraschungen und Abenteuer auf die beiden warteten. »Wird dem Albert Spaß machen, Stineken, was gilt die Wette?« Und er streichelte ihre Hand, die auf dem Tische lag, »und wenn er
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