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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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selbstverständlich auch bekommen kann, oder der eine Abonnementkarte besitzt, die dann geknipst wird, getreu dem alten Schlager »Knips o knips in diesen Schein, knips ein kleinesLoch hinein« – das will verarbeitet werden. Die Transportarbeiter bilden eine stolze Gewerkschaft oder bildeten sie, in vergangenen Zeiten; sie können sich den berühmten Hamburger Zimmerleuten von einst, jetzt Baugewerkschaft, wohl an die Seite stellen und fühlen sich den Setzern und Druckern weit überlegen, obwohl auch diese in Hamburg einen alten Ruf zu verteidigen haben und verteidigen. Aber im November 18 kam das nicht so genau darauf an, und von daher stammt der Eindruck, den Friedel Timme hinterlassen hat. Damals hatte das Hamburger Volk seine Sache in die eigene Hand genommen, und so was vergißt sich nicht.
    Der Fahrer tritt vorschriftsmäßig die Glocke, an der Lübeckerstraße gibt es Passanten. Des Glatteises wegen ist zwar vorschriftsmäßig gestreut worden, große Kisten mit Sand stehen wohlgedeckelt in der Nähe der Ecken, aber es kann doch mal einer ausgleiten, der die Straßenbahngeleise überschreitet, und dann wehe dem Fahrer, wenn er nicht sofort die Karre zum Stehen bringt. Dieser hier hat einen rotgrauen Schnurrbart, scharfe Augen unter dicken, rötlichen Brauen. Der Kälte wegen umschlingt ein wollener Schal seinen Hals und gibt dem Gesicht, das darauf ruht, unter der Schirmmütze etwas Landsknechthaftes, Rittermäßiges. Er heißt Otto Prestow und besaß mal eine Schwester, namens Lene, die auf ihre Weise auch zu den Opfern des Reeperbahnprozesses gehörte, aber das nebenbei. Er fühlt die ganze Wucht, mit der sein Wagen die Schienen entlangsaust, als eine Art Stoßkraft, in sich aufgespeichert, wenn’s mal soweit sein wird, wenn die Hamburger begreifen werden, was mit ihnen gespielt wird, wie tief sie in diesen fünf Jahren heruntergekommen sind. Ein Deutschland, dem kein Mensch mehr ein Wort glauben kann, sofern er noch selber imstande ist, schwarz von weiß zu unterscheiden. Ein Reich, in dem Tausende von Arbeitern zusammengehauen werden, mit Stahlruten, weil sie wissen, was sich für Arbeiter schickt, und daß ihre Lohngroschen nicht von verkommenen Studenten oder BMW.-Agenten in schönen Villen und aufgeplusterten Schauspielerinnen vergeudet werden sollen. Wozu gibt es Fahrten nach Dänemark und Schweden, wo ein Kraft-durch-Freude-Mann Genossen von ehemals wiedertrifft, von vor 33?
    »Früher«, sagte Fahrer Prestow und blickt scharf geradeaus durch die Scheibe, »hab ich bei dem T. mal ne Leberwurst gekauft und mal Beinfleisch. Aber jetzt ist Schluß damit, nicht wahr? Und wer mein Freund ist, der macht’s nicht anders.« – »Verstanden«, nickt der Schaffner. Während einiger Minuten Schweigens nimmt eine solche Redewendung erstaunlich an Gewicht zu, auch wenn der Wagen nur den hellerleuchteten Platz vor dem Hauptbahnhof kreuzt, wo die elektrischen Bogenlampen wie strahlende Südseefrüchte auf ihren hohen Palmenmasten hängen und ein ganz neues Publikum die sauberen Längsbänke einnimmt. Hier wird er so voll, daß auch auf der Vorderplattform Fahrgäste stehen – Zeit genug für Nachdenken und Erwägung. Das ist eine Aufforderung zum Boykott, denkt der Schaffner, auf, fein! Wird gemacht. Eine kleine Demonstration gegen das Dreckreich, das Dirtreich, wie man es auf hamburgisch nennen könnte. Was es uns nicht alles versprochen hat! Wie hübsch es uns für dumm kaufen konnte, weil ja wirklich nicht mehr viel Staat zu machen war mit unserer Weimarer Republik! Aber verglichen mit dem Schwindel, den sie jetzt aufziehen, wenn sie das sogenannte Volk befragen oder einen Reichstag einberufen, der wohl nischt wie ja und heil schreit – na Mensch, laß gehen. Und wenn der Otto und ich nicht so alte Kollegen wären, wär’s mächtig unvorsichtig von ihm gewesen, denkt der Schaffner. Aber er weiß ja, zu wem er redet. Als wir noch zehn Jahre jünger waren und die Lene noch’n fixes Mädel, seine Schwester, hat er mir da nicht das Leben gerettet und mich bei Finkenwärder aus der Unterelbe gezogen, wo unser Arbeiterbadestrand war und das tückische Luder, der Fluß, mal wieder im Steigen war, und ich gewettet hatte, ich würde ebenso quer rüberschwimmen, auf Nienstedten zu, wie er. Und wie uns die Strömung dann herunterdrückte, abtrieb, und ich den Kopf verlor und die Puste, und beinah alles aus war – wer hielt sich da neben mir und redete mir zu wie einem kranken Gaul und schnauzte mich an und fing

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