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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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die Frau Dr. Neumeier von allem Anfang angeschnitten hatte. Gleichwohl schadete es nichts, wenn man einen Schlächter in den Ruf brachte, sein Geschäft unhygienisch zu betreiben. Volksgesundheit war Trumpf, sofern sie die Partei nichts kostete. Pastor Langhammers Schreibebrief war gefährlicheres Zeug dagegen. Hoffentlich kam Frau Pastor bald mit dem Sündenlohn.
    Silvester war es bei Lehmkes hoch hergegangen. Am ersten Januar weicht eine tüchtige Hausfrau die beschmutzten Tischdecken und bei dieser Gelegenheit auch die Hauswäsche ein, und dann erscheint die Waschfrau. Sie muß gut verköstigt werden, ihr Beruf ist kein Zuckerlecken. Die Dörte muß helfen, auch Frau Lehmke mit ihren kräftigen Armen wringt mit aus. Manchmal muß das Gör auch weggeschickt werden, diesmal war nicht genug Bleichsoda im Haus, auch Waschblau für einen anderen Kessel. Dann arbeiten die beiden erwachsenen Frauen allein und haben Weile, dies und das zu schnaken. Frau Lehmke braucht Zeit, um mit ihren Gedanken zu Rande zu kommen. Sie sieht weiter als manche andere, hantiert am nächsten Tage schweigsam auf dem Hängeboden und läßt sich auch bei Bügeln und Wäschelegen vieles durch den Kopf gehen, wovon sie zunächst niemandem Mitteilung macht. Das also war der Gewinn in der Lotterie, den Albert gezogen hatte, oder die Erbschaft aus dem Oldenburgischen. Sie kann den Mann leiden, hat es nie verschwiegen, aber jetzt ist er ihr unheimlich, nicht zu leugnen. An einem der nächsten Abende, es ist ziemlich spät, man macht Kasse und räumt auf, pirscht sie sich mit ihrem neuen Wissen an Lehmke heran. Der sitzt vierschrötig da, hünlich ohne Bewegung, schaut schräg zu ihr hinüber, dann wieder vor sich hin. Hätt’ er dem Freund und Nachbarn nicht zugetraut. Das neue Ladenschild muß bezahlt werden, und der Albert hat zweitausend Mark verdient und nichts davon ausgegeben. Vielleicht in aller Stille die Kameraden beteiligt; wenn aber nicht ... Wer anders als Preester selber kann darüber Auskunft geben. Das Beste wird sein, den einfach zu fragen. Dienst am Vaterland, dem Führer vorgestellt, jetzt die Geschichte mit der Wünschelrute, wo die neue Panzerdivisioneine gar gute Miene dazu macht – ist alles in Ordnung. Lehmke will kein Stänker sein. Aber wenn der Albert den ganzen Zaster in die eigene Tasche gesteckt hat, das durfte ein jeder unkameradschaftlich nennen und wird auch. War aber nett von der Barfey, den Kram nicht ganz für sich zu behalten; zu vertrauenswürdigen Leuten darf einer schon gewisse Zipfel lüften. Es fallen nicht viele Reden und Gegenreden bei Lehmkes über diesen Punkt; nur sind sie sich einig, was die Hauptsache ist. Gemeinnutz geht vor Eigennutz; wer in die eigene Tasche lebt, darf sich über die Folgen nicht beklagen. Dann eben wirkt Freundschaft als Privatangelegenheit des Empfängers, wie manchmal auf Postsachen gestempelt stand. Unter anderen Umständen hätte Otto Lehmke gewußt, daß er bei Klaas Vierkant und Pieder Preester eine Sensation hervorrufen werde, wenn er Albert Teetjen einer solchen Sünde gegen den Geist der Kameradschaft zieh und überführte – falls Albert sich nicht als vorsichtiger Mann die Gunst der beiden führenden Köpfe gesichert hatte; und als Menschenkenner niederen Formats traute er dem Albert eine solche Vorsichtsmaßregel schon zu. In diesen Wochen aber lag die Sache offenbar ganz anders. Es ging etwas vor – hinter den Kulissen der Kulissen; aber die Presse, besonders die der Wirtschaftsberatung gewidmete, wußte, was sie sich und dem Reiche schuldete. Der Führer hatte in aller Stille nach Südosten gedeutet. Der Wehrkreis Leipzig war mit dem General von Reichenau besetzt worden, einem seiner Paladine, und von altersher, von Friedrich und Moltke her, beherrschte er das Einfallstor nach Wien. Früher zwar hieß das unmittelbare Ziel in solchen Fällen Prag. Wer auf die Hofburg schießen wollte, visierte zunächst auf den Hradschin. Und daran hatte sich ja durch Versailles einiges geändert. Wie Redakteur Vierkant an jenem schummrigen Frühnachmittag schnakte, als er bei Lehmke mit Pieder P. einen Grog genehmigte. Aber hatte sich wirklich so viel geändert? Aus dem Weißbart Franz Joseph war der Weißbart Masaryk geworden, der geschniegelte Herr Schuschnigg hatte sich in den geschniegelten Herrn Benes abgezweigt. Früher sagte man Prag, wenn man Wien meinte, und jetzt umgekehrt. Aber ob man das Ei nun an der breiten oder an der spitzen Seite aufmachte, das war nach Jonathan

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